Der Islam im Licht des Evangeliums VI
Das Verhältnis von Glaube und Handeln
Der Apostel Paulus bescheinigt im Neuen Testament seinen jüdischen Landsleuten "Eifer für Gott" (Römer-Brief 10, 2)! Das müssen wir ehrlicherweise auch im Blick auf zahlreiche Muslime tun. Wir finden in der Welt des Islam viele aufrichtig fromme Menschen, für die gilt, was z. B. Sure 2, 177 in einer knappen Zusammenfassung sagt: "Die Frömmigkeit besteht...darin, dass man an Gott, den Jüngsten Tag, die Engel, die Schrift und die Propheten glaubt und sein Geld - mag es einem noch so lieb sein - den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem, der unterwegs ist (oder: dem, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; w. dem Sohn des Wegs), den Bettlern und für (den Loskauf von) Sklaven hergibt, das Gebet verrichtet und die Almosensteuer bezahlt. Und (Frömmigkeit zeigen) diejenigen, die, wenn sie eine Verpflichtung eingegangen haben, sie erfüllen, und die in Not und Ungemach und in Kriegszeiten geduldig (w. zur Zeit von (kriegerischer) Gewalt) sind. Sie (allein) sind wahrhaftig und gottesfürchtig."
Dieser Text zeigt schön die Verquickung von Glaube an Gott und gehorsamen Tun des Menschen im Islam. Beides zusammen ist die Voraussetzung dafür, dass Gott dem Menschen seine Gnade gewährt. Glauben und Tun lassen den Muslim hoffen, das ewige Leben zu erlangen. Eine letzte Gewissheit kann ein Muslim darüber freilich nicht haben, da sie dem freien Willen Gottes widersprechen würde.
Deshalb müssen wir mit Paulus zu dem 'Eifer für Gott' hinzufügen: "...aber ohne Einsicht": "Denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und suchen ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten und sind so der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan. Denn Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht." (Römer-Brief 10, 3 f.). Weil Jesus Christus das 'Ende des Gesetzes' als eines Weges zum Heil ist, deshalb ist er auch das 'Ende des Islam' als eines menschlich-natürlichen Weges zum Heil.
Es wäre freilich nicht korrekt, den Islam eine reine Gesetzes-Religion zu nennen. Muslime wissen, dass der Glaube an Gott zum Tun des göttlichen Willens gehört. Muslime wissen auch, dass sie mit ihrer frommen Leistung Gott nicht nötigen können, sie im Gericht gerecht zu sprechen. Denn dann wäre Gott nicht mehr frei in seiner Entscheidung. Sie wissen, dass sie auch auf die Gnade Gottes, also auf einen Akt seiner freien Entscheidung, angewiesen sind. Diese Freiheit Gottes hält ja gerade die Frage von Heil und Verdammnis bis zuletzt in der Schwebe. Muslime vertrauen aber im Gericht nicht allein auf Gottes Gnade, sondern auch auf ihre Frömmigkeit.
Der Unterschied zwischen Islam und biblischem Glauben
Nach dem biblischen Zeugnis führt die Gnade Gottes zur Gewissheit des Heils, weil sie nicht eine zukünftige, sondern eine bereits erwiesene Gnade Gottes ist. Im biblischen Verständnis von Glaube und Handeln wird sowohl im Alten als auch im Neuen Testament deutlich, dass der Glaubende sich ganz auf die Heilsgaben Gottes stützt, sie dankbar als für sich geschehen annimmt und sich dann - in dankbarer Erwiderung für das Empfangene - auch gehorsam dem Gebot Gottes unterordnet. Die guten Werke des Glaubenden sind die Folge der im Glauben angeeigneten Rechtfertigung. Der an Christus Glaubende kann sich im Gericht nie auf seine Werke berufen, sondern allein auf das in Christus geschenkte Heil.
Sowohl im biblischen Zeugnis (vgl. Jakobus-Brief 2,14-26) als auch im Islam gehören also Glaube und tätiger Gehorsam ganz eng zusammen. Der große Unterschied liegt darin, dass sich gemäß dem biblischen Zeugnis der Glaube auf das geschehene Heil stützt, während im Islam der Glaubende auf das künftige Heil hofft und diese Hoffnung auf seine Frömmigkeit und die erbetene Gnade Gottes gründet. Der große Unterschied ist also das Christus-Geschehen. In ihm ist offenbar, dass Gott gerecht ist und den Glaubenden gerecht macht. In diesem Sinne sagt Paulus: "Wer an den glaubt, der ist gerecht." In diesem Sinne ist Christus das Ende des mosaischen Gesetzes als eines Weges zum Heil.
Der Glaube schafft aber vor allem ein persönliches Gottesverhältnis und setzt den Menschen im Dienst Gottes und an den Mitmenschen in Bewegung. Der Glaube gewinnt deshalb Gestalt in der persönlichen Nachfolge Jesu Christi. "Herr ist Jesus Christus", so hieß das knappe urchristliche Glaubensbekenntnis, das Glaube und Werke umfasst. Die Gewissheit des Heils gründet sich aber allein auf das stellvertretende Werk Jesu Christi.
Fortsetzung folgt
Quelle: Vom Verfasser leicht überarbeiteter Ausschnitt aus: E. Troeger, Kreuz und Halbmond. Was Christen vom Islam wissen sollten, Wuppertal 1996, S. 114ff. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.