Brief 1
Lieber Abdullah,
eigentlich schreibe ich diesen Brief, um Dir zu sagen, wie dankbar ich bin für unsere scheinbar zufällige Begegnung. Es ist wohl recht selten, dass ein gläubiger Muslim wie Du, und ein gläubiger Christ wie ich, sich auf so eine offene und freundschaftliche Art begegnen und austauschen. Ich wünsche mir sehr, daß unsere weiteren Gespräche im gleichen Geist erfolgen mögen. Weil Gespräche dieser Art leider oft durch viele Vorurteile belastet sind, ist es erfrischend, ja wohltuend, zu erkennen, dass unser Gedankenaustausch uns doch echt ein Stück näher zu einander gebracht hat. Was mich überaus berührt hat, ist auch die Bereitschaft Deinerseits, unterschiedliche Verständnisse und gar Kontroversen gemeinsam besprechen und durchdenken zu wollen, ohne dabei gleich ein Feindbild zu erstellen.
On es Dich überrascht hat, daß wir sehr ähnliche Hoffnungen und Erwartungen an unser Leben haben? Etwas Neues war für mich auch, daß wir viele Gedanken die unseren Glauben betreffen, offen teilen können Und waren wir nicht beide überrascht, wie ähnlich unsere Vorstellungen über Gott eigentlich sind? Das schließt natürlich nicht aus, dass unser Verständnis von religiösen Riten und Dogmen hier und da ziemlich auseinander gehen. Aber wir haben uns doch immer wieder finden können bei unseren so ähnlichen Vorstellungen über das Wesen Gottes. Was anderes kann das wohl bedeuten, als dass Gott uns Menschen dieses intuitiv ins Herz gelegt hat? Es scheint ganz so, als ob die verschiedenen Religionen dieses Bewusstsein von Gott nach ihrer Kultur und Tradition, oder auch entsprechend ihrer Erkenntnis deuten. Das ist, zumindest oberflächlich gesehen, der trennende Faktor.
Die Anhänger von Religionen, die sich auf erhaltene Offenbarungen berufen, sehen diese natürlich als Garant für die Richtigkeit ihres Glaubens und ihrer Lehre an. Und nun sind wir wieder bei unserem Thema angelangt. Drei Religionen (Judentum, der christliche und der islamische Glaube) glauben an Offenbarungen, die, wie sie überzeugt sind, den Menschen von Gott gegegeben wurden. Trotzdem folgen sie unterschiedlichen, sich zu Teil widersprechenden, Auffassungen über Gott und über den Sinn und das ewige Ziel unseres Lebens.
Im Grunde ist es offensichtlich, daß allen Menschen ihre Unzulänglichkeit vor Gott bewußt ist. Wer ehrlich ist, spürt einfach seinen Mangel an einem reinen Herzen vor Gott. Jesus, der ja stets vom Vordergründigen zum Eigentlichen führt, sagte einmal, dass nur Menschen, die ein reines Herz haben, Gott schauen werden (Matth. 5:8). Das wird auch durch andere Stellen der Bibel gestützt, beispielsweise wo Gott sagt:
"Ich urteile nach anderen Maßstäben als die Menschen. Für die Menschen ist wichtig, was sie mit den Augen wahrnehmen können; ich dagegen schaue jedem Menschen ins Herz." (1. Sam. 16:7).
Genau das meint Gott auch, wenn er sagt:
"Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig." (1.Petrus 1:15-16), und Setzt alles daran, mit jedem Menschen Frieden zu haben und mit eurem ganzen Leben Gott zu gehören. Sonst werdet ihr den Herrn niemals sehen. (Hebr.12:14).
Solche Aussagen lassen uns erschrecken, denn unser Handeln, und noch mehr unsere Gedanken, sind nun einmal gar nicht so heilig. Das müssen wir wohl alle ehrlicherweise zugeben. Tief in unseren Herzen wissen wir ja genau um unsere Unzulänglichkeit, anscheinend besonders, wenn wir uns ernsthaft bemühen, vor Gott bestehen zu können. Wir wissen auch, dass seine Heiligkeit und Gerechtigkeit unbestechlich sind. Darum steigt ja immer, besonders wenn wir mit dem Tod oder Toten konfrontiert werden, eine ungewisse Angst vor dem Sterben in uns Menschen auf, oder genauer, die Angst davor, was danach auf uns zukommen mag. Sicher kann man auch leben ohne Gott einzubeziehen, doch der Gedanke an den Tod ist einfach unterschwellig da und das mehr, je älter man wird. Dieser Gedanke verdirbt dann letztlich alle innere Freude und Hoffnung. Manch einer schwankt dann zwischen Hoffnung und Verzweifelung. Ob das gar der Grund sein mag, warum sich so viele Menschen förmlich in Beschäftigung oder Vergnügen ertränken? Nur nicht nachdenken! Doch die Bibel spricht da etwas aus, was wir intuitiv ahnen:
Jeder Mensch muss einmal sterben und kommt danach vor Gottes Gericht. (Hebr. 9:27).
Die gesamte Menschheit sitzt im selben Boot. Wir alle müssen eines Tages sterben, und keiner von uns kann von sich annehmen, ein dem heiligen und gerechten Gott angemessenes Leben geführt zu haben.
Das ist sicher auch der Grund dafür, daß wir in allen Religionen Reinigungsriten finden. Obwohl diesen wohl kaum mehr als ein Symbolwert zukommt, werden sie von unzähligen Millionen von Menschen überall auf der Erde erwartungsvoll und vielleicht auch hingebungsvoll praktiziert, als ob sie dadurch tatsächlich ihre Schuld vor Gott abwaschen könnten. Auch wenn man dadurch den Körper zu reinigen vermag, weiß man doch im tiefsten Innern, dass Wasser nun einmal keine Sünden wegwaschen kann, denn das Böse kommt aus dem Herzen. Im Zusammenhang mit rituellen Waschungen vor dem Genuß von Speisen zeigte uns Jesus einen Aspekt, der falsche Hoffnungen korrigieren soll. Er sagte uns:
Wisst ihr denn nicht, dass alles, was ein Mensch zu sich nimmt, zuerst in den Magen kommt und dann ausgeschieden wird? Aber die bösen Worte, die ein Mensch von sich gibt, kommen aus seinem Herzen, und nur sie lassen ihn unrein werden!
Aus dem Herzen kommen die bösen Gedanken wie: Mord, Ehebruch, sexuelle Zügellosigkeit, Diebstahl, Lüge und Verleumdung. Durch sie wird der Mensch vor Gott unrein, nicht dadurch, dass man mit ungewaschenen Händen ißt." (Matth.15:17-20).
Und wie geht man nun mit seinen Verfehlungen um? Sicherlich können wir da etwas vom König David lernen. Nachdem er eine sehr verwerfliche Schuld auf sich geladen hatte, betete er inbrünstig zu Gott. Dieses Gebet kann man in den Psalmen (Zabur) nachlesen:
Du großer, barmherziger Gott, sei mir gnädig, hab Erbarmen mit mir! Lösche meine Vergehen aus!
Meine schwere Schuld - wasche sie ab, und reinige mich von meiner Sünde!
Denn ich erkenne mein Unrecht, meine Schuld steht mir ständig vor Augen.
Gegen dich habe ich gesündigt - gegen dich allein! Was du als böse ansiehst, das habe ich getan. Darum bist du im Recht, wenn du mich verurteilst, dein Urteil wird sich als wahr erweisen. ...
Du freust dich, wenn ein Mensch von Herzen aufrichtig und ehrlich ist; verhilf mir dazu, und lass mich weise handeln!
Reinige mich von meiner Schuld, dann bin ich wirklich rein; wasche meine Sünde ab, und mein Gewissen ist wieder weiß wie Schnee! ...
Sieh nicht länger auf meine Schuld, vergib mir alle meine Sünden!
Erschaffe in mir ein reines Herz, o Gott! (Psalm 51:1-10).
Dieses Gebet rührt mich immer wieder zutiefst, eben weil es weit mehr, als ein formelles Ritual darstellt. Es ist der Schrei eines über sich verzweifelten Menschen. Er war schuldig und suchte das, was er nicht mehr hatte, ein reines Herz. Bei Aussagen dieser Art fällt es uns leicht eines Sinnes zu sein. Bei anderen Aussagen der Schriften mögen wir nicht ohne weiteres einer Meinung sein.
Wir haben alle gewisse Überzeugungen. Die meisten davon sind vorgegebene Meinungen, die man, weithin ohne sie wirklich ernsthaft auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft zu haben, als selbstverständlich voraussetzt. Hier muß man achtgeben. Es sagte mal jemand nicht zu unrecht: Überzeugungen sind schlimmere Feinde der Wahrheit, als Lügen. Gespräche die zwischen Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen geführt werden, führen darum fast immer in eine Sackgasse. Laß uns bereit sein, dem anderen tatsächlich zuzuhören, sonst könnte es geschehen, wie es leider allzu oft passiert, daß jeder nur redet und keiner mehr auf das hört, was der andere zu sagen hat. Nun, wir haben uns ja geeinigt, dass wir solche Art von Diskussionen bei unseren Erwägungen nicht zulassen wollen.
Wir wollen darauf achten, dass unsere Gespräche nicht darauf zielen, ein Argument zu gewinnen, sondern daß wir uns gemeinsam der Wahrheit stellen. Damit ehren wir Gott. Wir wollen uns jederzeit bewusst sein, dass wir vor dem ewigen, heiligen Gott stehen und uns vor Ihm für all unser Reden und Denken und Handeln zu verantworten haben. Es geht letztlich um die Wahrheit über und von Gott und nicht um um unseren Eifer für eine Sache.
Das soll uns verpflichten, nicht leichtfertig mit dieser Wahrheit umzugehen und all unser Denken an den offenbarten Aussagen Gottes zu prüfen, ja sogar diese selbst, um ihrer Echtheit gewiß zu sein. Wenn wir Gottes Wahrheit wirklich aufrichtig suchen und vertreten wollen, ist jede Angst, etwas zu verlieren, fehl am Platz. Göttliche Wahrheit muss aber auch für den Skeptiker von Nachahmungen zu unterscheiden sein, sonst könnte Gott einen Menschen schwerlich dafür verantwortlich machen, wenn er in die Irre geht.
Ich bete darum, dass unsere Bekanntschaft auf dieser Grundlage zu einer innerlichen Gemeinschaft gedeihen wird, in der wir gemeinsam und wahrhaftig mit ganzem Herzen unseren Schöpfer ehren und lieben werden. Diese Aussicht macht mich sehr froh. Und damit möchte ich diesen Brief schließen. In der Hoffnung, eine baldige Antwort zu erhalten, grüße ich vielmals.
Dein
Theophilus