Die Hadithen sind Sammlungen von Überlieferungen über Mohammed und sein Leben. Sie sind lehrmäßig unterteilt in das, was er tat (Sunnatu 'l-fi'l), das, was er lehrte und vorschrieb (Sunnatu'l qaul), sowie das, was in der Gegenwart Mohammeds getan und von ihm erlaubt bzw. verboten wurde (Sunnatu't-taqrir).

Grundsätzlich muss gesagt werden, dass dem Koran, zumindest theologisch, mehr Autorität zugemessen wird, als den Hadithen.

Der Platz, den die Hadithen im Islam einnehmen, wird am Besten durch einige Sätze aus der Einleitung einer Hadithensammlung (‘Mishkatu’l Masabih’) deutlich: “Das, was der Prophet Gottes als ungesetzlich erklärt hat, ist genauso wie das, was Gott selbst so bezeichnet hat.”

“Es ist, indem wir Muhammad (Friede sei mit ihm!) nachfolgen, dass wir das erstrebte Ziel erreichen, nämlich wir Allah’s Wohlgefallen gewinnen.”

“Ich habe euch zwei Dinge hinterlassen, und ihr werdet nicht straucheln, solange ihr an ihnen festhaltet. Das eine ist das Buch Allah’s, und das andere ist das Gesetz, das die Nachahmung (Sunnah) seines Propheten bestimmt.” Mit Muhammad steht und fällt somit das ganze System des Islams.

Als Christen verstehen wir den Unterschied zwischen dem Koran und den Hadithen vielleicht besser, wenn wir uns vorstellen, dass die Bibel in den Augen eines Muslims eine Mischung von ‘Schrift’ und geschichtlicher Berichterstattung (Tradition) ist. Man würde dann beispielsweise das Gesetz, viele Aussprüche der Propheten und auch die Bergpredigt als ‘Schrift’ einordnen, die Auferweckung des Lazarus durch Jesus aber und sein Gehen auf dem Wasser, in die Hadithen verweisen.

Der Zweck der Hadithen

In der Praxis spielt die Überlieferung (die Hadithen) eine größere Rolle als der Koran selbst. Hier sucht der Muslim Anleitung für sein Handeln in allen Bereichen seines täglichen Lebens. Das Tun und Reden Mohammeds nachzuahmen, ist für einen Muslim der sicherste Weg, um ein vor Allah wohlgefälliges Leben zu führen. Darum strebt man danach, Allahs Wohlgefallen zu finden, indem man den Lebensstil des Propheten so genau wie möglich nachzuahmen sucht, denn aus muslimischer Perspektive handelt es sich bei Muhammad um den grössten und vollkommensten Menschen, der je auf Erden wandelte – abgesehen vielleicht von Jesus. Die meisten Muslime glauben, dass auch Muhammads Leben und sein Reden von Gott inspiriert war. Sie ordnen die Hadithen als ‘von niedrigerer Form’ als den Koran ein, aber von ‘gleichem Rang’, was immer das bedeuten mag.

Die gesamte Interpretationslehre des Koran und auch das Gerichtssystem des Islam, beruhen, neben dem Koran, auf diesen Hadithen. Im islamischen Lehrsystem formierten sich aus diesen Quellen drei Lehrbegriffe und Praktiken, die dem islamischen System eine gewisse Struktur verliehen. Diese sind die Sunnah, die Schariah und Tafsir. Sie erfüllen verschiedene Funktionen, sind aber voneinander abhängig. Wir werden sie gleich nacheinander untersuchen.

Die Sammlung der Hadithen

Insgesamt gibt es 1465 Hadithensammlungen. Aus der grossen Fülle dieser Überlieferungen haben muslimische Gelehrte sechs Sammlungen erstellt, die als die ‘wahren Bücher’ (Sihahu's-Sittah) bezeichnet werden. Sie wurden gesammelt von:

  1. al-Bukari 256 n.H. (nach der Hedschra, die A. D. 622 stattfand)
  2. Muslim 261 n.H.
  3. at-Tirmize 279 n.H.
  4. Abu-Da'wud 275 n.H.
  5. Abu-Abdir' Rahman 303 n.H.
  6. Abu Abdi'llah Muhammad 273 n.H.

Die beiden zuerst erwähnten geniessen besonderes Vertrauen. Es gibt dazu auch eine Auswahlsammlung von allen sechs Sammlern, die ‘Mishkat-ul-Masabih’ genannt wird.

Die Vertrauenswürdigkeit der Hadithen

Die Überlieferungen wurden erst 250-300 Jahre nach den berichteten Geschehnissen gesammelt, nachdem sie bis dahin weitgehend mündlich überliefert worden waren. Können sie uns wirklich ein wahres und zuverlässiges Bild von Mohammed wiedergeben?

Zur Prüfung der Zuverlässigkeit einer Tradition, wurde eine komplizierte Methode entwickelt. Man bewertet jede der Hadithen und ordnete sie bestimmten Gruppen zu. Danach gibt es zunächst ‘unverfälschte Überlieferung’ (Hadisu s’-sahi), die von Vertrauenspersonen weitergegeben wurden, deren Zuverlässigkeit anerkannt war. Dann gibt es die ‘zweitklassige Überlieferung’ (Hadisu'l hasan) und ‘schwache Überlieferung’ (Hadisu'Za'if), die auch buchstäblich auf wackeligen Füßen steht. Eine andere Schule unterscheidet ‘ermahnende’, ‘eingeschränkte’ und ‘sich überschneidende Überlieferungen’. Andere teilen die Hadithen in ‘unanfechtbare’, ‘allgemein bekannte’, ‘seltene’ und ‘schwache Überlieferungen’ sowie ‘Einzelaussagen’ ein. (‘Dictionary of Islam’, S. 640).

Auf welcher Basis wurden die Hadithen bewertet und ausgesucht? Das Beispiel von al-Bukhari mag helfen, dies besser zu verstehen: Von 600.000 Hadithen, die er von 40.000 Leuten gesammelt hatte, erkannte er nur 2000 als wirklich zuverlässig an. Für seine Sammlung erkor er 7200, d.h. 1.2%, von denen etwa die Hälfte Duplikationen sind. Die Auswahl basierte auf dem persönlichen Urteil dieses einen Sammlers! Abu Da'ud, ein anderer Hadithensammler, akzeptierte 4800 Überlieferungen von 500.000, die ihm vorlagen. Er begründete seine Auswahl damit, dass er nur die niedergeschrieben habe, die ihm authentisch oder beinahe authentisch erschienen (Ibn-Khalikan, Band 1, S. 590).

Die vermeintlichen Garanten der Hadithen - die Isnad

Eine Bewertung der Zuverlässigkeit einer Tradition geschieht auf eine für uns merkwürdig anmutende Weise. Sie ist strikt an die Kette der verbalen Übermittler gebunden. Somit geht jeder Tradition eine Namensreihe voraus, die ihre Zuverlässigkeit belegen und bestätigen soll.

Um ein Beispiel zu geben, zitieren wir aus der Sammlung des at-Tirmeze, wie eine typische Überlieferung mit der ‘Kette der Überlieferer’ (Isnâd) aussieht:

“Abu Kuraib sagte uns, daß Ibrahim-ibn-Yûsuf ibn Abi Ishâq uns von seinem Vater, von Abu Ishâq, von Tulâtâ-ibn-Musarif sagte, dass er sagte: Ich habe von Abdu'r Rahmân-ibn-Ausajah gehört, dass er sagte: Ich habe gehört, dass der Prophet sagte: ‘Wer auch immer aus Barmherzigkeit eine Milchkuh oder Silber oder eine lederne Wasserflasche gibt, das soll der Freilassung eines Sklaven gleichkommen’” (Mishkat, S. 1). Das Problem dieser Methode ist, dass diese ‘Isnad’ allzu oft mit der Hadithe selbst erfunden wurde und sie somit letzlich wertlos ist. Es muss hier vielleicht erläutert werden, dass im Frühislam eine Reihe von Doktrinen entstand, die ihre Existenzberechtigung notwendigerweise auf den ‘Propheten’ gründen mussten. Erfundene Hadithen halfen dann diese Lehren zu befestigen.

 

Die Interpretation des Korans - Tafsir

Das Wort tafsir heisst eigentlich soviel wie ‘Erläuterung’. Im spezifisch islamisch-theologischen Gebrauch betrifft es die Exegese und Auslegung des Koran.

Der Islam bestimmt, dass der Koran nur von dem erklärt werden kann, der ihn empfangen hat, also Muhammad. Man geht davon aus, dass ihm mit dem Buch auch dessen Bedeutung offenbart wurde. Die Einführung in die Hadithensammlung des ‘Sahih Muslim’ formuliert es wie folgt: “Es ist uns unzweideutig vermittelt worden, dass der heilige Prophet (Friede sei mit ihm!) nichts aus eigenem Antrieb sagte oder tat. Was immer er sagte oder tat, kam vom Herrn: ‘Er spricht nicht aus eigenem [Verlangen]’ (Sure 53:4) und ‘ich folge nur dem, was mir von meinem Herrn offenbart wurde’ (Sure 7:204). Alle Aussagen und Taten des heiligen Propheten (Friede sei mit ihm!) sind somit göttlich inspiriert, und nur in ihnen finden wir den wahren Sinn und die rechte Deutung des Willens Allahs. Es war nicht nur die Pflicht des Propheten, das Buch Allahs weiterzugeben, sondern auf ihm ruhte auch die Verantwortung, den wahren Inhalt der koranischen Lehren zu erklären und ihnen eine sichtbare Form (i.e. in der Person Muhammads) zu geben”. Das mag eine brauchbare Arbeitshypothese gewesen sein, als Muhammad noch lebte, aber nach seinem Tode musste man einen modus operandi finden, der sowohl theologisch als auch praktisch, alle Fragen nach Sinn und Bedeutung beantworten würde. Das konnte nur geschehen, wenn man eine möglichst umfangreiche Aufzeichnung aller Aussprüche Muhammads und eine genaue Aufzeichnung über seinen Lebensstil als Vorbild und Erklärung zur Verfügung hatte. Eine Tradition mag das illustrieren: “Einige unter uns tauschten Hadithgeschichten aus. Jemand sagte: ‘Genug davon! Kümmert euch lieber um das Buch Allahs!’ Darauf sagte Imran ibn Husain: ‘Du bist ein Narr! Findest du in Allah’s Buch die Gebete in Einzelheiten erklärt? Oder das Fasten? Der Koran erwähnt diese nur allgemein. Es ist die Sunnah (das ist Muhammad als Vorbild), welche Einzelheiten erläutert!” (‘L’tibar’ von al-Hamda).

Es ist somit nicht erstaunlich, wenn wir in dem Einführungswort zu der Hadithensammlung ‘Mishkatu’l-Masabih’ lesen, dass “in der Tat der Koran ohne die Hadithen in vielen Fällen unverständlich bleibt…. Es ist die absolute Verfügung des Koran, dem Propheten in all seinem Tun und dem was er sagte, nachzufolgen. Wenn man also dem Koran glaubt, gibt es keine Alternative, als den Hadithen des Propheten zu glauben.”

Die Nachahmung Muhammad's - Sunnah

Sunnah (oder auch Sunnat, wobei der letzte Buchstabe nicht ausgesprochen wird) heisst soviel, wie der Weg, und zeigt die Notwendigkeit auf, den Lebensstil Muhammads nachzuahmen. Dies wird nicht nur als verdienstlich angesehen, sondern ist in der Praxis heilsnotwendig, wenn man diesen Begriff im Islam überhaupt verwenden kann. Von der Auswirkung der Sunnah in der Gesellschaft erwartet man auch die Antwort auf alle sozialen Probleme.

Wir neigen natürlich dazu zu fragen, warum jemand den Propheten des Islam oder sonst jemand, nachahmen sollte? Der Grund liegt darin, dass der Islam als ‘natürliche Religion’ den Nöten des ‘natürlichen Menschen’ auf der Grundlage der Natur begegnet (Jens Christensen). Eine Anleitung für dieses Tun bietet sich in Mohammed an. Die Nachahmung dessen vermittelt dem Muslim ein Gefühl der Sicherheit, recht zu handeln.

Nur wenige Menschen sind sich gewiss, dass ihr Handeln moralisch und ethisch und somit vor Gott akzeptierbar ist. Um Orientierung zu haben, folgt man allgemein dem, was die Mehrzahl der Menschen tut. Allahs auserwähltem Prophet nachzufolgen, von dem man glaubt, dass er Gott wohlgefällig lebte, bedeutet dann, dem besten Beispiel zu folgen. Darum ist es allen Muslimen aufgetragen, ihn nachzuahmen. Dem Koran und den Hadithen kann man klar entnehmen, dass diese Forderung von Muhammad selbst kam, und dass er alle gläubigen Muslime dazu ermutigt hat: “An dem Gesandten Allahs habt ihr ein herrliches Beispiel eines Mannes, der auf Allah und den Jüngsten Tag hofft und oft Allahs eingedenk ist….Es ziemt den gläubigen Männern und Frauen nicht, wenn Allah und sein Gesandter irgendeine Sache beschlossen haben, sich die Freiheit herauszunehmen, anders zu wählen; denn wer Allah und seinem Gesandten ungehorsam ist, der befindet sich in offenbarem Irrtum” (Sure 33:22 und 37). “Wenn ihr Allah liebt, so folgt mir, und Allah wird euch dann lieben und euch eure Sünden vergeben” (Sure 3:32).

Die Hadithen bestätigen dies voll: “Wer mir gehorcht, wird ins Paradies eingehen, und wer mir ungehorsam ist, sagt ihm ab” (al-Bukhari, Band 9,XCII, Kap. 2, Vers 384, Seite 284).

Die zu erwartende Folge ist, dass alle Muslime eine Imitation Muhammad’s bis hin in die kleinsten Kleinigkeiten anstreben: womit und wie putze ich meine Zähne richtig? Mit welchem Fuss soll ich die Toilette zuerst betreten? Einige Überlieferungen mögen das illustrieren: Wie esse ich eine Wassermelone richtig? Ahmad-ibn-Hambal ass keine Wassermelonen - obgleich er wusste, dass der Prophet sie genossen hatte - weil ihm nicht bekannt war, ob der Prophet sie mit oder ohne die weiße Innenschicht gegessen und ob er sie auseinandergebrochen, aufgebissen oder aufgeschnitten hatte.

“Omar schaute auf den schwarzen Stein an der Ka’ba in Mekka und sagte: ‘Bei Allah, ich weiß, dass du nur ein Stein bist und weder Gutes noch Böses zu tun vermagst. Wüsste ich nicht, dass der Prophet dich geküsst hat, hätte ich es nicht getan. Aber weil er es tat, tue ich es auch’.” Und damit verübte er Götzendienst!

Abd-ullah ibn-Umar wurde beobachtet, wie er auf seinem Kamel wiederholt eine bestimmte Stelle umritt. Auf die Frage, warum er das mache, erwiderte er: “Das weiß ich nicht, ich habe aber gesehen, dass der Prophet es hier ebenso tat.”

Nach den Hadithen zu leben, bringt allerdings in unserer modernen Welt allerlei Probleme mit sich:

Von Jabir wird erzählt, dass er sagte: “Der Gesandte Gottes verfluchte alle, die Zinsen verlangen oder geben, welche die Buchhaltung der Hypotheken führen oder Zeugen davon sind. Und er sagte: Sie machen sich alle gleich schuldig” (Sahih Muslim, S. 839). Und doch kaufen in unserem Wirtschaftssystem die meisten Muslime ihre Häuser auf Kredit durch Schuldverschreibungen und zahlen Zinsen, auch wenn kluge Leute akzeptierbare Decknamen für diese Vorgänge finden konnten.

Vor einigen Jahren war es über einer Stadt in Afrika bewölkt und über einer anderen klar. Die religiösen Führer der Stadt, über der es bewölkt war, erhielten einen Telefonanruf, dass von der Stadt mit klarem Himmel die Sichel des neuen Mondes zu sehen war. Das bestätigte ihnen das Ende des Monats Ramadan und den Beginn von Id-ul’Fitr, dem Fest am darauf folgenden Tag, obgleich sie selbst den Mond noch nicht gesehen hatten. Dies löste eine grosse Kontroverse aus. Eine solche Auskunft durfte man doch nicht per Telefon bekommen! Der Streit nahm solche Ausmaße an, dass beschlossen wurde, eine Abordnung von gelehrten Theologen von Afrika nach Bombay zu schicken, um das Urteil von noch gelehrteren Männern einzuholen. Die telefonische Auskunft wurde für unstatthaft befunden. Man muss den neuen Mond selbst gesehen haben, bevor Id-ul’Fitr gefeiert werden kann!

Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich in Asien. In Karatschi charterten die Maulvis (Theologen) an einem wolkigen Abend ein Flugzeug, da sie aufgrund astronomischer Berechnungen erwarten konnten, den Neumond zu sehen. Sie flogen über die Wolken, sahen den Mond, landeten wieder und beeidigten, ihn gesehen zu haben, was dann die Festfreude auslöste. Andere Muslime mussten einen Tag länger fasten, weil das wolkige Wetter ihnen den Mond verborgen hielt. Und die waren darüber ungehalten, weil sie meinten, dass die Maulvis in Karatschi gemogelt hatten. Die Hadithen geben nun einmal keine Auskunft darüber, ob man die Sichtbarkeit der Mondsichel nach dem Neumond von überhalb der Wolken ausspionieren dürfe. (Beispiele aus Christensen, ‘Practical Approach to the Muslims’, S. 547).

Ironischerweise hat das elektronische Zeitalter diese Regel überholt. Man kann sich die gesuchte Information heute sogar aus dem Internet holen.

Das Gesetz des Islam - Schariah

Die Schariah ist das Gesetz des Islam, die ausführende Instanz des Koran und der Überlieferungen. Es ist gleichsam die Ausführungsbestimmung der Sunnah und legt fest, welche Handlungen strafbar sind, und ob diese zivil- oder strafrechtlicher Art sind.

Im gesellschaftlichen Kontext schreckt harte Bestrafung von Straftaten unter der Schariah natürlich potenzielle Gesetzesbrecher ab, ihrem ‘Gewerbe’ nachzugehen. Wenn ein potenzieller Gesetzesbrecher damit rechnen muss, dass ihm die Hand abgehackt wird, wenn er stiehlt und dabei ertappt wird, oder dass er bei Ehebruch ausgepeitscht wird, wird er es sich bestimmt sehr überlegen, ob er sich auf eine Straftat einlässt. Darum ist in islamischen Ländern die Kriminalität auch unvergleichlich niedriger.

Es darft allerdings hier nicht verschwiegen werden, dass die islamische Rechtsprechung auch sehr ungerecht gegen Andersgläubige eingesetzt werden kann, wie viele Fälle in Pakistan und anderen islamischen Ländern bezeugen, in denen Christen um ihres Glaubens willen falsch beschuldigt und verfolgt werden.

Muslime betonen gerne, dass der Islam eine natürliche Religion sei und praktische Anweisungen für alle Lebensgebiete erteilt und nicht bloss theoretisch sei. Das ist wahr. Aber es stimmt ebenso, dass der Islam sich am Menschen und seinen Bedürfnissen orientiert. Im Gegensatz dazu finden wir in der Bibel Normen, die nicht an Menschen orientiert sind, sondern dem Wesen Gottes entsprechen. Daran gemessen ist der Mensch natürlich überaus sündhaft. Darum wird auch niemand behaupten können, sich durch eigene Anstrengung gerecht machen zu können. Unsere Gerechtmachung, wie die des Abraham, kann nur von Gott kommen. Wir erlangen sie mittels des Glaubens, unseres Festhaltens an Gott, der uns diesen Glauben nach seiner Verheissung als Gerechtigkeit anrechnet (1. Mose 15:6, Röm. 4:3, Gal. 3:6).

Jemand sagte einmal sehr richtig, dass das christliche Leben eigentlich ein übernatürliches sei. Und das stimmt. Nur wenn der Geist Gottes in uns wirkt, “wenn also jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung: das Alte ist vergangen, siehe, ein Neues ist entstanden!” (2 Kor 5:17). Das äussert sich einmal darin, dass “wenn wir unsere Sünden bekennen, er treu und gerecht ist, daß er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt” (1 Jo 1:9). Unser Leben ist aber auch darum übernatürlich, weil der Heilige Geist, uns beisteht. Er wohnt in uns, erweckt in uns einen Widerwillen gegen Sünde, stärkt uns in Versuchungen, und steht uns bei in unserem Ringen, gottgemäss zu leben.

Letztlich ist die Frage immer nur, ob wir die angebotene Begnadigung von Gott annehmen wollen oder stolz den Weg der Selbsterlösung wählen. Der Islam und andere Religionen rufen auf, den letztgenannten Weg zu beschreiten.

 

Gesetz und Sünde

Wenn wir von Gut und Böse reden, stellt sich die Frage nach dem Menschenbild und der Ethik im Koran.

Der Grund für die Erschaffung des Menschen wird im Koran klar angegeben: “… Menschen habe ich nur geschaffen, damit sie mir dienen” (Sure 51:57). Nach islamischer Lehre ist der Mensch unbelastet durch ’Erbsünde’ (der Islam hat diesen Begriff offensichtlich falsch verstanden) und somit in der Lage den Erwartungen und Gesetzen Allah’s zu entsprechen. “Allah will es euch leicht machen, denn der Mensch ist ein schwaches Geschöpf”, lehrt der Koran (Sure 4:29). Wir lernen aber auch, dass der Mensch zum Drangsal geschaffen wurde (Sure 90:5), dass er geizig (17:101), ungerecht und undankbar (14:35, 17:68) ist. Der Koran weiss allerdings nichts über den Sündenfall zu sagen und somit auch nicht über die absolute Verderbtheit und damit Verlorenheit des Menschen.

Sünde kann aber nur als solche erkennbar werden, wenn es einen Maßstab gibt, an dem man Recht und Unrecht messen kann, denn wo es kein Gesetz gibt, da gibt es offensichtlich auch keine Übertretung und somit keine Schuld (Röm. 7:7). Es ist also das Gesetz, was formuliert, was recht und was unrecht ist, und daran gemessen ist jeder Mensch schuldig. Das Gesetz ist nun zwar der Standard, an dem Schuld oder Unschuld gemessen wird, aber es bewirkt keine Begnadigung. Es ist das Privileg des Richters Gnade walten zu lassen.

Nun ist, strikt genommen, der Koran kein Gesetzesbuch. Ein Bedarf dafür führte dann auch schon in der Frühgeschichte des Islam dazu, die Schariah als ‘Gesetz Allah’s’ in Anlehnung an den Koran und die Hadithen zu formulieren.

Das geschah, unabhängig voneinander, an vier verschiedenen Orten durch vier islamische Theologen, auch Juristen genannt. Diese sind:

Abu-Hanifa (geb. 80 nach der Hedschra in Kufah)

Malik (geb. 96 nach der Hedschra in Medina)

Asch-Schafi’i Geb. 150 nach der Hedschra in Gaza)

ibn-Hanbal (geb. 164 nach der Hedschra in Baghdad)

Jeder hat ein umfangreiches juristisches System erstellt. Alle weichen von einander ab und werden in unterschiedlichen Gebieten gebraucht. Abu-Hanifa’s Codex folgt man in Zentralasien, Indien und Teilen von Ägypten, Malik’s Codex in Nordafrika mit Ausnahme von Ägypten, Asch-Schafi’i’s Codext in Südarabien, Ostafrika, Südostasien und auch in Gebieten Zentralasiens und Ägypten und ibn-Hanbal’s Codex in Arabien.

Als Maßstab für das Gesetz dient das Leben Muhammad’s, das Muslime als sündlos ansehen (obwohl er an mehreren Stellen, wie z.B. in Sure 47:19 oder 48:3 aufgefordert wird, um Vergebung für seine Schuld zu bitten).

Vergebung sucht der Muslim durch die Bitte darum an Allah. Er hegt aber auch die Hoffnung auf eine Fürsprache Muhammad’s oder gewisser ‘Heiliger’. Neutralisierung bestimmter Sünden durch Kompensation mit ‘guten Werken’, also durch Verdienst, ist ein Wesensteil des Islam. Niemand hat allerdings die Zusage, dass diese Bemühungen auch erfolgreich sein werden.

Sicher sind wir als Christen an diesem Punkt besonders dankbar für Gottes Zusicherung, die uns sagt, dass “das Blut Jesu, seines Sohnes, uns von jeder Sünde reinigt” (1. Joh. 1:7). Ein Opfer für Sünde, wie es grundsätzlich in der Bibel gefordert wird, gibt es im Islam nicht.

Der Islam stuft Sünden ab, angefangen mit den ‘grossen’, kufr (Unglaube), und shirk, (Allah einen Partner zur Seite stellen), bis hin zu Meineid, Flucht vor dem Feind, Alkoholkonsum, Genuss von Fleisch ungeschächteter Tiere, das als ‘unrein’ angesehen wird oder Schachspielen und das Eintreiben von Zinsen.

Die Schariah teilt Sünden in 6 Kategorien ein:

a) Sünden, die keine Strafe nach sich ziehen;

b) Sünden, die durch gute Werke wieder gutgemacht werden können;

c) Sünden, die eine Fürsprache nötig machen;

d) Sünden, die Busse und Vergebung benötigen;

e) Sünden, die eine, wenn auch nicht ewige, Strafe nach sich ziehen

f) Sünden, die nicht vergeben werden.

Um das Leben im Islam mit seiner Unmenge von Verordnungen für die Gläubigen erträglich zu gestalten, wurde Sünde relativiert. Wie wir schon sahen, wird Muslimen die Möglichkeit vorgegaukelt, ‘kleinere’ Sünden durch gute Werke kompensieren zu können. Unglaube, Abgötterei und Abfall vom Islam werden der Kategorie ‘grosse Sünden’ beigeordnet, aber diese begeht ein guter Muslim sowieso nicht. Somit erscheint es ihm durchaus möglich, sein Schuldkonto hantieren zu können.

Das alles ist nach biblischem Maßstab eine schlimme Verharmlosung und somit ein Verkennen der Sünde. Wir können erkennen, dass die Einordnung und Anwendung des Gesetzes, wie sie im Islam geschieht, eine Verfälschung des Heilsplanes Gottes ist. “Wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das die Kraft besäße, Leben zu verleihen, dann käme die Gerechtigkeit tatsächlich aus dem Gesetz. Nun aber hat die Schrift alles unter die Herrschaft der Sünde zusammengeschlossen, damit das Verheißungsgut den Gläubigen aufgrund des Glaubens an Jesus Christus zuteil würde” (Gal 3,21-22).

 

Belohnung für gute Werke

Abgesehen davon, dass Muslime meinen, ‘kleinere’ Sünden durch die Gutschriften ‘guter Werke’ ausgleichen können, werden Gesundheit, Wohlstand, Glück usw. als Belohnung für eine gute Lebensweise angesehen. Es wäre demnach folgerichtig zu schliessen, dass gutes und richtiges Handeln und Heil miteinander verbunden sind. Abgesehen davon, dass diese Annahme theologisch falsch ist, ist es diese Auffassung, die es einem Muslim erschwert, Leid und Not zu verstehen und zu verarbeiten.

Es macht darum auch für sie keinen Sinn, dass Jesus, der Gerechte und Gute, leiden musste und von ungerechten Menschen gekreuzigt wurde. Nach dem Weltbild der Muslime hätte Gott so etwas nie zulassen können.

Positiv zu vermerken ist, dass viele Muslime bestrebt sind, nach ihrem Verständnis recht zu handeln.

 

Gesetz und Gnade

Gesetz ist, was als Norm festgesetzt ist. Im profanen wie im biblischen Bereich wird also Handeln bzw. Unterlassen gewisser Handlungen, am Gesetz gemessen und als recht oder unrecht befunden. Man braucht nicht alle oder viele Gesetze zu brechen, um schuldig werden. Wer auch nur ein Gesetz bricht, wird schuldig vor Gott (Jak. 2:10).

Nun gibt es aber auch die Möglichkeit einer Begnadigung. Wer bei einem weltlichen Gericht Begnadigung ersucht, hat eine Chance, sie zu erhalten. Gott geht weiter, als das. Wenn wir ehrlich bereit sind, uns von der Sünde abzuwenden, um uns Gott zuzuwenden, was Busse ja letztlich beinhaltet, haben wir die feste Zusage der Vergebung (1 Joh. 1:9). Gott versenkt unsere Schuld im tiefsten Meer, entfernt sie von uns so weit, wie der Osten vom Westen ist, ja, er erinnert sich nicht mehr daran (Micha 7:19, Ps. 103:12, Jer. 31:34, Jes. 43:25)!

Im Islam gibt es nun zwar ein Gesetz, aber keine kausal begründete Hoffnung auf Vergebung. Der Koran wiederholt zwar viele Male, dass Allah voller Vergebung und Gnade denen gegenüber ist, die an ihn glauben. Letztlich ist jedoch jedes Urteil der Willkür Allahs anheimgestellt, der absolut souverän handeln kann. Wie das formuliert ist, haben wir ja schon in der Prädestinationslehre des Islam (Seite 18) gelesen. Wiederum unabhängig davon erwarten die meisten Muslime, dass sie ihre Sünden ‘abbüssen’ müssen.