2.1 Wie Muhammads Vater, Abdallah, heiratete
Abd al-Muttalib nahm die Hand Abd Allahs und kam mit ihm in der Nähe des Heiligtums an einer Frau von den Banu Asad ibn Abd al-'Uzza vorbei. Sie war die Schwester des Waraqa ibn Nawfal. Sie sah ihn an und fragte: “Wo willst du hin, Abd Allah?” – “Ich gehe mit meinem Vater.” – “Ich gebe dir so viele Kamele wie statt deiner geschlachtet worden sind, wenn du sogleich mit mir zusammenliegst.” – “Ich kann meinen Vater jetzt nicht verlassen, noch etwas gegen seinen Willen tun.” – Abd al-Muttalib ging dann mit seinem Sohn zu Wahb ibn Abd Manaf, der damals sowohl wegen seines Ansehens als auch wegen seiner Abstammung der Herr der Banu Zuhra war. Dieser gab ihm seine Tochter Amina zur Frau. Sie war damals die vorzüglichste Frau unter den Quraisch infolge ihres Ranges und ihrer Abstammung. Ihre Mutter hieß Barra und war die Tochter des Abd al-'Uzza. Barras Mutter hieß Umm Habib und war die Tochter des Asad ibn Abd al-'Uzza. Abd Allah heiratete sie alsbald, und sie wurde mit dem Gesandten Allahs schwanger. Dann verließ er sie, kehrte zu der Frau zurück, die sich ihm angeboten hatte und fragte sie: “Warum machst du mir heute nicht wieder den Vorschlag, den du mir gestern gemacht hast?” Sie erwiderte: “Das Licht, das gestern an dir war, hat dich verlassen. Ich habe nichts mehr mit dir zu tun.”
Sie hatte nämlich von ihrem Bruder Waraqa ibn Nawfal gehört dieser – war Christ geworden und hatte die Schriften gelesen – daß aus diesem Geschlecht ein Prophet aufstehen werde.1
Abu Ishaq ibn Yasar berichtet ähnliches. Abd Allah sei zu der Frau gekommen, welche er neben Amina hatte und habe sie liebkosen wollen. Er hatte aber zuvor Erdarbeiten verrichtet und war noch beschmiert davon. Deshalb hatte sie ihn abgewiesen. Er verließ sie, wusch sich und wollte zu Amina gehen. Als er wieder an jener Frau vorüberkam, rief sie ihn zu sich. Er schenkte ihr jedoch kein Gehör, sondern begab sich zu Amina und schlief mit ihr. Da wurde sie mit Muhammad schwanger. Später suchte er jene Frau nochmals auf und fragte sie: “Hast du Lust?”* Sie erwiderte: “Nein; als du an mir vorüberkamst, war ein glänzender Punkt zwischen deinen Augen. Deshalb forderte ich dich auf, zu mir zu kommen. Du weigertest dich aber und gingst zu Amina. Nun ist der Glanz auf sie übergegangen.2
Andere behaupten, die Frau habe gesagt: “Als er vorüberging, war zwischen seinen Augen so etwas wie der weiße Stirnfleck einer Stute. Da lud ich ihn ein in der Hoffnung, dieses Zeichen werde auf mich übergehen. Er weigerte sich aber und schlief mit Amina, und sie wurde schwanger mit dem Gesandten Allahs. Dieser war der Beste seines Volkes in bezug auf Abstammung und Adel, sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits.”3
2.2 Ereignisse während der Schwangerschaft Aminas, der Mutter Muhammads
Es wird berichtet – nur Allah ist allwissend – 4Amina, die Tochter Wahbs, habe erzählt: “Als ich mit dem Gesandten Allahs schwanger war, ist mir ein Geist erschienen, der mir gesagt hat: ,Du bist mit dem Herrn dieses Volkes schwanger. Sage bei seiner Geburt: Ich stelle ihn unter den Schutz des Einzigen, daß er ihn vor der Bosheit seiner Neider bewahre, und nenne ihn Muhammad!”’5
Sie soll auch während ihrer Schwangerschaft ein aus ihr strahlendes Licht bemerkt haben, bei welchem man (in 1000 Kilometern Entfernung) die Schlösser von Bosra in Syrien (einer römische Provinzstadt 1400 km nördlich von Mekka) sehen konnte.6
Noch während der Schwangerschaft Aminas starb Abd Allah, der Sohn Abd al-Muttalibs, der Vater des Gesandten Allahs.7
2.3 Die Geburt und Ernährung des Gesandten Allahs (ca. 570 n.Chr.)
Der Gesandte Allahs wurde an einem Montag im “Jahr des Elefanten”8 geboren, als zwölf Nächte des Monats Rabi'a al-Awwal (3. Monat) verflossen waren. Hassan ibn Thabit berichtet: “Ich war ein Knabe von sieben oder acht Jahren und verstand recht gut, was ich hörte, als ein Jude von einem Gebäude in Yathrib (Medina) aus seine Volksgenossen zusammenrief. Als sie sich bei ihm versammelten, sagte er: ‚Heute Nacht ist der Stern9 aufgegangen, an dem Ahmad10 geboren worden ist.’ Ich fragte Sa'id ibn Abd al-Rahman, wie alt Hassan gewesen sei, als Muhammad nach Medina kam. Er antwortete: ‚Sechzig Jahre alt”’. Da Muhammad damals dreiundfünfzig Jahre alt war, muß Hassan, als er diese Worte vernahm, ein siebenjähriger Knabe gewesen sein.
Nachdem Muhammad geboren worden war, schickte seine Mutter zu Abd al-Muttalib und ließ ihn bitten, den Knaben anzusehen. Er kam und sie erzählte ihm, was sie zur Zeit der Schwangerschaft gesehen hatte, was ihr über ihn gesagt worden war und wie sie ihn nennen sollte. Man nimmt an, Abd al-Muttalib habe ihn gleich mitgenommen, zur Ka'ba getragen, zu Allah gebetet und ihm für diese Gabe gedankt11.
Dann brachte er ihn wieder zu seiner Mutter zurück und suchte eine Amme für ihn. Die Amme war eine Frau von den Banu Sa'd ibn Bakr. Sie hieß Halima und war die Tochter des Abu Dhu'aib. Muhammads Milchgeschwister waren Abd Allah ibn al-Harith, Unaisa und Djudhama, die stets 'al-Schayma' genannt wurde. Sie alle waren leibliche Kinder der Halima.
Djahm ibn Abi Djahm, ein Freigelassener des Harith ibn Hatib al-Djumahi, hat berichtet, Halima, die Tochter Abu Dhu'aibs von den Banu Sa'd, die Amme des Gesandten Allahs, habe erzählt: “Ich verließ meine Heimat mit meinem Gatten, einem Säugling und anderen Frauen von den Banu Sa'd, die auch Säuglinge suchten, in einem Hungerjahre, das uns nichts übrigließ. Ich ritt auf einer scheckigen Eselin, und wir hatten eine Kamelstute bei uns, die keinen Tropfen Milch gab. Wir konnten die ganze Nacht nicht schlafen, denn der Kleine weinte vor Hunger. Weder ich noch unsere Kamelstute hatten Milch genug, um ihn zu stillen. Wir hofften aber auf irgendeine Hilfe. Ich ritt auf meiner Eselin und hielt die Karawane oft auf, weil die Eselin so schwach und elend war. Schließlich erreichten wir Mekka, um dort nach Säuglingen zu suchen. Der Gesandte Allahs wurde allen Frauen angeboten, doch keine wollte ihn nehmen, weil er ein Waisenkind war. Man erwartete Geschenke vom Vater des jeweiligen Säuglings und dachte, was würde wohl eine Mutter und ein Großvater geben können. Als aber bereits alle anderen Frauen Säuglinge gefunden hatten und wir wieder abreisen wollten, sagte ich zu meinem Gatten: ‚Bei Allah, ich gehe nicht gern ohne einen Säugling mit meinen Gefährtinnen zurück. Ich werde dieses Waisenkind annehmen.’ Er erwiderte: ‚Es wird dir nichts schaden, wenn du ihn nimmst. Vielleicht wird uns Allah durch ihn segnen.’ Ich nahm ihn also nur, weil ich keinen anderen Säugling gefunden hatte und brachte ihn zu meinem Reittier. Als ich ihn an meinen Busen legte, fand er soviel Milch, daß er satt wurde. Auch sein Milchbruder trank, bis er genug hatte. Dann schliefen beide ein. Zuvor hatten wir nie wegen des schreienden Säuglings schlafen können. Dann ging mein Gatte zur Kamelstute. Sie war von Milch angeschwollen, und er molk so viel, daß er und ich vollständig satt wurden und wir die angenehmste Nacht hatten. Am folgenden Morgen sagte mein Gatte zu mir: ‘Wisse, Halima, bei Allah, du hast ein gesegnetes Geschöpf mitgenommen.’ Ich erwiderte: ‘Bei Allah, ich hoffe es!’ Dann reisten wir ab. Ich nahm ihn zu mir auf meine Eselin, die jetzt so schnell sprang, daß die Mitreisenden auf ihren Eseln nicht mehr Schritt halten konnten. Sie baten mich, auf sie zu warten und fragten mich, ob es nicht dieselbe Eselin sei, auf der ich gekommen sei. Als ich ihre Frage bejahte, antworteten sie: ‘Bei Allah, mit ihr hat es eine besondere Bewandtnis.’ Als wir in unsere Heimat im Lande der Banu Sa'd kamen, welches das unfruchtbarste aller Länder war, da kam mir doch des Abends mein Vieh wohlgenährt und Milch verheißend entgegen. Tatsächlich hatten wir Milch im Überfluß, während andere Leute keinen Tropfen melken konnten. Schließlich sagten einige zu ihren Hirten: ‘Wehe euch! Laßt euer Vieh dort weiden, wo der Hirte der Tochter Abu Dhu'aibs weiden läßt!’ Aber dessen ungeachtet kehrte das meinige gesättigt und mit Milch gefüllt zurück, während das ihrige hungrig blieb und keinen Tropfen Milch gab. So fanden wir in allem Allahs Segen und Überfluß, bis zwei Jahre vorüber waren. Da entwöhnte ich den Knaben. Er war so kräftig herangewachsen wie kein anderer. Wir brachten ihn dann seiner Mutter, wünschten aber, daß er noch bei uns bleiben möchte wegen des Segens, der durch ihn zuteil geworden war. Ich sagte daher zu seiner Mutter: ‘Möchtest du noch dein Söhnchen bei uns lassen, bis er noch stärker wird; denn ich fürchte, die schlechte Luft Mekkas könnte ihm schaden.’ Wir drangen dann so lange in sie, bis sie ihn uns wieder gab.
Einige Monate nach unserer Rückkehr – Muhammad war eben hinter unserem Hause mit seinem Bruder beim Vieh – kam der Bruder eilig zu uns und sagte: ‚Zwei weißgekleidete Männer haben meinen Bruder, den Quraischiten, ergriffen und zu Boden gestreckt, ihm den Leib aufgeschnitten und darin herumgewühlt.’ Ich lief mit seinem Vater zu ihm. Da wir ihn ganz entstellt fanden, nahten wir uns ihm und fragten, was ihm widerfahren sei.
Er antwortete: ‚Zwei weißgekleidete Männer sind auf mich zugekommen, haben mich hingestreckt, meine Brust gespalten und etwas darin gesucht; ich weiß nicht was.’12
Wir brachten ihn in unser Zelt, und sein Vater sagte zu mir: ,Ich fürchte, dieser Knabe ist von bösen Geistern geplagt. Bringe ihn zu seiner Familie zurück, ehe es bekannt wird. Wir reisten mit ihm zu seiner Mutter, und sie fragte: ,O Amme, was führt dich hierher? Du wünschtest doch so sehr, den Säugling länger zu behalten!’ Ich antwortete: ,Allah hat meinen Sohn heranwachsen lassen. Ich habe das Meinige getan und fürchte, es möchte ihm ein Unglück widerfahren. Darum bringe ich ihn dir deinem Wunsche gemäß zurück.‘ Amina entgegnete: ‚So verhält es sich nicht! Sage mir die Wahrheit!‘ Sie drang so lange in mich, bis ich ihr alles erzählt hatte. Da fragte sie: ‚Fürchtest du, er sei von einem bösen Geist besessen?’ Als ich nickte, erwiderte sie: ,Niemals, bei Allah! Satan findet keinen Zugang zu ihm; denn mein Söhnchen wird einst eine hohe Stellung einnehmen. Soll ich dir von ihm erzählen?’ Als ich bejahte, fuhr sie fort: ‚Als ich schwanger wurde, sah ich ein Licht von mir ausstrahlen, so hell, daß es die fernen Schlösser von Bosra In Syrien beleuchtete. Meine Schwangerschaft war so leicht und angenehm, wie ich noch nie eine hatte. Als ich ihn gebar, streckte er die Hände auf den Boden und hob den Kopf gen Himmel. Doch laß ihn jetzt bei mir. Komm gut heim!...‘“
Einige Gefährten des Gesandten Allahs hatten ihn einst gebeten, ihnen Auskunft über sich selbst zu geben. Daraufhin habe er gesagt: “Ich bin der, dem zu glauben mein Vater Ibrahim (Abraham) geboten hat, und derjenige, der von ‘Isa (Jesus) vorhergesagt worden ist.13 Meine Mutter hat, als sie schwanger wurde, ein Licht gesehen, das von ihr ausstrahlte und selbst die fernen Schlösser Syriens beleuchtete. Ich bin unter den Banu Sa'd ibn Bakr gesäugt worden. Als ich einmal mit meinem Bruder hinter unserem Haus das Vieh hütete, kamen zwei weißgekleidete Männer auf uns zu. Sie hatten eine goldene Waschschüssel bei sich, die mit Schnee gefüllt war. Sie ergriffen mich und spalteten meine Brust. Dann nahmen sie das Herz heraus, spalteten es ebenfalls und entnahmen ihm einen schwarzen Klumpen. Diesen warfen sie weg.14 Dann wuschen sie mein Herz und meinen Leib mit Schnee, bis sie rein waren. Schließlich sagte einer zum andern: ,Wiege ihn gegen zehn von seinem Volke auf!’ Er tat so, aber ich wog sie auf. Nun sagte er: Wiege ihn gegen hundert von seinem Volke’; aber ich wog auch die hundert auf. Zuletzt sagte er: ,Wiege ihn gegen tausend von seinem Volke auf,’ und als ich auch diese aufwog, sagte er: ,Laß ihn! Selbst dann, wenn du sein ganzes Volk in die eine Waagschale legst, wird er sie doch aufwiegen!”
Der Gesandte Allahs hat gesagt: “Es gibt keinen Propheten, der nicht zuvor ein Hirte gewesen ist.” Und als man ihn fragte: “Und du?” antwortete er: “Auch ich war einer.” Ferner hat der Gesandte Allahs zu seinen Gefährten gesagt: “Ich bin der reinrassigste Araber unter euch.15 Ich bin ein Quraischite und habe als Säugling unter den Banu Sa'd gelebt.”
Manche behaupten – Allah allein weiß es – Halima habe den Gesandten Allahs auf dem Weg zu seiner Mutter auf der Höhe von Mekka im Menschengewühl verloren, und sie konnte ihn nicht wiederfinden. Sie ging zu Abd al-Muttalib und klagte es ihm. Dieser suchte das Heiligtum auf und betete zu Allah, er möge ihn ihm wieder zurückgeben. Es wird berichtet, Waraqa ibn Nawfal und ein anderer Quraischite hätten ihn auf der Höhe von Mekka gefunden und zu Abd al-Muttalib gebracht. Dieser nahm ihn auf die Schulter und umkreiste mit ihm das Heiligtum, indem er ihn Allahs Schutz empfahl und für ihn betete. Dann ließ er ihn wieder zu seiner Mutter bringen.
Ein Gelehrter (Traditionsträger) hat mir erzählt: “Halima wurde noch aus einem anderen Grunde, den sie seiner Mutter nicht angegeben hatte, bewogen, Muhammad zu ihr zurückzubringen. Als sie nämlich nach seiner Entwöhnung auf der Heimkehr von Mekka war, begegneten ihr einige Abessinier, die Christen waren. Sie betrachteten ihn von allen Seiten und fragten sie aus. Dann sagten sie: ‚Wir wollen diesen Knaben mit uns nehmen und unserem König bringen. Wir kennen die Zukunft dieses Knaben und wissen, daß er einst einen hohen Rang einnehmen wird.‘“ Derjenige, der mir dies erzählt hat, setzte hinzu, sie hätten den Abessiniern nur mit großer Mühe entrinnen können.
2.4 Der Tod der Mutter Muhammads, Amina, und seines Großvaters, Abd al-Muttalib (ca. 576 und 578 n.Chr.)
Der Gesandte Allahs lebte unter Allahs Beistand und Schutz bei seiner Mutter und seinem Großvater, und Allah ließ ihn als eine schöne Pflanze aufwachsen, bis er durch seine Gnade das vorgesteckte Ziel erreichte. Als er sechs Jahre alt war, starb seine Mutter.
Abd Allah ibn Abi Bakr erzählt: “Die Mutter des Gesandten Allahs starb in Abwa'16 zwischen Mekka und Medina, als er sechs Jahre alt war. Sie hatte mit ihm seine Verwandten, die Banu 'Adi ibn al-Nadjdjar, besucht und starb auf der Rückkehr nach Mekka.”17
Der Gesandte Allahs lebte dann bei seinem Großvater Abd al-Muttalib. Dieser hatte sein Bett in der Nähe der Ka'ba aufgestellt. Seine Söhne saßen um das Bett herum und warteten, bis er kam; aber keiner setzte sich aus Ehrfurcht vor ihm auf das Bett. Einst kam auch der Gesandte Allahs – er war damals noch ein kleiner Knabe – und setzte sich auf das Bett. Da wollte ihn sein Onkel wegschieben, aber Abd al-Muttalib sagte: “Laßt meinen Sohn! Bei Allah, er wird einst einen hohen Rang einnehmen.” Er ließ ihn dann bei sich sitzen und sich von ihm den Rücken streicheln. Was er auch tat, erfreute ihn. Als der Gesandte Allahs acht Jahre alt war, starb auch Abd al-Muttalib.
Als Abd al-Muttalib seinen Tod herannahen fühlte, ließ er seine sechs Töchter, Safiyya, Barra, Atiqa, Umm Hakim al-Baida, Umaima und Arwa, zusammenrufen und sagte zu ihnen: “Beweint mich, damit ich vor meinem Tode höre, was ihr über mich sagen wollt.” Da dichtete seine Tochter Safiyya:
Als des Nachts eine klagende Stimme schweres Unheil wegen eines Mannes verkündete, vergoß ich Tränen, die wie Perlen über meine Wangen herabrollten, über einen wahrhaft edlen Mann, der allen Sklaven entschieden überlegen ist; über den Freigiebigen, den mit hohen Tugenden Begabten; über einen vortrefflichen Vater, den Erben aller Güte; über den Treuen in seiner Heimat, der keine Anstrengung scheute, der fest stand und keiner Stütze bedurfte; der mächtig war, wohlgestaltet, von hoher Natur, der bei seinem Geschlechte Lob und Gehorsam fand, aus erhabenem, glänzendem, tugendhaftem Geschlecht; der den Menschen wie ein Regen in Hungerjahren Segen spendete, von edlen Ahnen, ohne Scharte; der dem Herrn und dem Sklaven teuer war; er war äußerst mild, Abkömmling gnädiger, freigebiger, edler Männer, stark wie Löwen.
Könnte ein Mann wegen alten Adels ewig leben – aber Fortdauer ist keines Menschen Los – so würde er bis zur letzten Nacht unvergänglich bleiben durch seinen hohen Ruhm und adlige Abstammung.”
Auch die übrigen Töchter beweinten ihren Vater noch zu Lobzeiten und dichteten über ihn ruhmreiche Verse, wobei jede versuchte, die andere zu überbieten. Auch Freunde des Sterbenden kamen herein, um ihn zu loben und zu rühmen.
Abd al-Muttalib, der schon nicht mehr sprechen konnte, gab durch Kopfnicken zu verstehen, daß er so betrauert werden wollte.
Nach dem Tode Abd al-Muttalibs wurde sein Sohn al-'Abbas Herr der Zamzamquelle. Er war es, der die Pilger von der Quelle trinken ließ, obgleich er damals noch ältere Brüder hatte. Er wurde vom Gesandten Allahs in seinen Rechten bestätigt. Sie sind seinem Geschlecht bis zu diesem Tage verblieben.
2.5 Muhammad bei seinem Onkel Abu Talib (ab ca. 578 n.Chr.)
Nach dem Tode Abd al-Muttalibs kam der Gesandte Allahs zu seinem Onkel Abu Talib. So hatte es Abd al-Muttalib empfohlen. Sein Vater Abd Allah war nämlich ein Doppelbruder Abu Talibs. Ihre Mutter hieß Fatima. Sie war eine Tochter des Amr ibn Aids. Abu Talib sorgte nach dem Tode seines Großvaters für den Gesandten Allahs und behielt ihn stets bei sich. Ein Wahrsager, der oft nach Mekka kam, prophezeite dem Jungen einen hohen Rang. Und zwar geschah dies so: Als Abu Talib mit einigen Jünglingen unterwegs war, erblickte der Wahrsager den Gesandten Allahs. Doch wurde seine Aufmerksamkeit durch etwas anderes von ihm abgezogen. Als er das erledigt hatte, fragte er wieder nach ihm und wollte, daß man ihn herbeihole. Da Abu Talib merkte, wie gierig der Wahrsager sich nach dem Jungen umsah, verbarg er ihn. Da sagte dieser: “Wehe euch! Bringt mir den Jungen wieder, den ich vorher gesehen habe, bei Allah, er wird einen hohen Stand einnehmen.” Abu Talib ging aber mit ihm weg.
Später wollte Abu Talib mit einer Karawane zu einer Handelsreise nach Syrien aufbrechen. Er war eben im Begriff abzureisen, da schmiegte sich der Gesandte Allahs so zärtlich an ihn, daß er weich wurde und sagte: “Bei Allah, ich nehme ihn mit und trenne mich nie mehr von ihm!” So oder ähnlich sprach er. Er reiste also mit ihm ab. Wie gewöhnlich stiegen sie in der Nähe einer Mönchsklause ab. Der Mönch hieß Buhaira (oder Bahira). Er kannte die Schriften und die Religion der Christen und wohnte seit eh und je in dieser Zelle. In ihr wurde ein Buch aufbewahrt, aus dem sich die Mönche belehren ließen. Es vererbte sich vom einen auf den andern. Sooft Abu Talib auch früher hier vorbeigekommen war, so hatte sie der Mönch doch nie angesprochen noch sich ihnen vorgestellt. Diesmal jedoch ließ er eine Mahlzeit bereiten, weil – wie es heißt – er von seiner Zelle aus sah, wie eine Wolke den Gesandten Allahs inmitten der Karawane beschattete und wie sie auch dem Baum Schatten spendete, unter dem er sich mit der Karawane niedergelassen hatte. Selbst die Zweige des Baumes neigten sich zum Gesandten Allahs herab, um ihn besser schützen zu können. Als die Mahlzeit zubereitet war, sandte Buhaira zur Karawane und ließ alle, jung und alt, Sklaven und Freie, zum Essen einladen.
Da sagte einer der Quraischiten: “Es ist auffallend, daß du uns zuvor nie solche Gastfreundschaft erwiesen hast. Weshalb gerade heute?” Buhaira entgegnete: “Es ist so, wie du sagst, doch ihr seid heute meine Gäste. Ich will euch mit einem Mahle ehren, zu dem ihr alle eingeladen seid.” Alle kamen auch zu ihm, nur der Gesandte Allahs blieb seiner Jugend wegen unter dem Baum im Lager zurück. Als Buhaira den, an welchem er gewisse Merkmale erkannt hatte, nicht unter den Gästen fand, sagte er: “Ihr Quraischiten, es darf keiner von euch im Lager zurückbleiben, der hier noch einen Platz hätte.” Sie erwiderten: “Nur ein Knabe, der Jüngste der ganzen Karawane, ist im Lager zurückgeblieben.” Er versetzte hierauf: “Rufet ihn. Er soll auch mit euch essen!”
Da rief einer der Quraischiten: “Bei Lat18 und Uzza19 es ist nicht recht von uns, daß wir den Sohn Abd Allahs im Lager zurückgelassen haben!” Er begab sich daher zu ihm, umarmte ihn und brachte ihn zu den anderen. Buhaira musterte ihn und suchte nach den Merkmalen, die er an seinem Körper zu finden hoffte. Als die Mahlzeit beendet war und die Gäste sich zerstreut hatten, stellte sich Buhaira vor ihn hin und beschwor ihn bei Lat und Uzza, ihm seine Fragen zu beantworten. Er beschwor ihn deshalb bei Lat und Uzza, weil die Quraischiten so zu tun pflegten.
Es heißt, Muhammad habe ihm gesagt: “Frage mich nicht bei Lat und Uzza, denn, bei Allah, nichts ist mir verhaßter als diese Götzen.” Da sagte Buhaira: “Nun, so beschwöre ich dich bei Allah, mir meine Fragen zu beantworten.” Muhammad erwiderte: “Frage, was dir gut dünkt!” Da befragte er ihn über seinen Zustand im Schlaf, über seine äußere Beschaffenheit und andere Dinge. Der Gesandte Allahs gab ihm über alles Auskunft, und es stimmte mit dem überein, was Buhaira von ihm wußte. Dann betrachtete er seinen Rücken und fand zwischen seinen Schultern, an der Stelle, wo es beschrieben war, das Siegel des Prophetentums. Es sah wie das Mal von einem Schröpfkopfe aus. Sodann ging er zu Abu Talib und fragte ihn: “Wie ist dieser Knabe mit dir verwandt?” Er entgegnete: “Er ist mein Sohn.” – “Er ist nicht dein Sohn, dieser Knabe braucht keinen Vater mehr.” – “Nun, er ist mein Neffe.” – “Und sein Vater?” – “Er ist während der Schwangerschaft seiner Mutter gestorben.” – “Du hast die Wahrheit gesagt. Geh jetzt mit dem Knaben nach Hause und verbirg ihn vor den Juden, denn, bei Allah, wenn sie ihn sehen und ihn erkennen wie ich, so werden sie ihm Böses antun. Dein Neffe wird einst einen hohen Rang einnehmen. Darum eile mit ihm in die Heimat zurück!”20
Abu Talib tat also, sobald er seine Geschäfte in Syrien abgewickelt hatte.
Der Gesandte Allahs wuchs heran, und Allah beschirmte und bewahrte ihn vor den Irrtümern des Heidentums, weil er ihn zu seinem Gesandten bestimmt hatte. So wurde er der hervorragendste Mann seines Volkes: an Ritterlichkeit, gutem Benehmen und edler Abstammung übertraf ihn keiner. Er war der angenehmste Nachbar, der Sanfteste, Wahrhaftigste und Treueste und hielt sich fern von allen häßlichen Eigenschaften, die den Mann erniedrigen. Er war erhaben darüber und vereinigte in sich so viele Tugenden, daß er unter seinem Volke “der Treue” genannt wurde.
Als “der Krieg des Frevels” ausbrach, war Muhammad zwanzig Jahre alt. Der Krieg führte diesen Namen, weil dabei von den Kinana und Qays Ailan manches heilige Gebot übertreten wurde. Der Führer von Quraisch und Kinana war Harb ibn Umaiyya ibn Abd Schams. Am Anfang des Tages siegten die Qays, von Mittag an aber die Kinana.