Herausforderung zur Mission
Jeder Christ in Pakistan muß sich mit dem Islam und seiner Geschichte gründlich auseinandersetzen. In der Vergangenheit sind viele Fehler gewacht worden, weil man mit gutem Willen, aber ziemlich ahnungslos gearbeitet und den Christen nicht geholfen hat, das Problem der Annäherung an die Muslime gründlich zu durchdenken. Diese Frage ist das Thema der vorliegenden Schrift. Die Kirchenväter nannten den Teil der Kirche, der auf der Erde lebt, die kämpfende Kirche. Das heißt, die jetzt lebende Generation der Christen Ist die kämpfende Kirche. Wir stehen in dem großen Kampf des Lichtes gegen die Finsternis. Zu seiner Zeit stand der Apostel Paulus mitten in diesem Kampf, nicht gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte der Finsternis. Für uns in Pakistan gehörte die Auseinandersetzung mit dem Islam zu diesem Kampf der Kirche. Für uns ist der Islam nicht ein interessantes wissenschaftliches Problem oder eine einfache historische Tatsache, sondern eine Macht, die gegen die Offenbarung Gottes in Christus steht. Dabei geht es uns nicht um einen Vergleich der Religionen untereinander, wie ihn die Religionswissenschaft vornimmt. Sie hat die Tendenz, Religionen zu sortieren, wie man Eier sortiert, ehe sie auf den Markt kommen. Dagegen ist nichts einzuwenden, so lange die Tatsachen des menschlichen Lebens untersucht werden. Für den Kampf der Kirche trägt aber diese Betrachtungsweise wenig aus. Erst wenn uns der Gegensatz zwischen Licht und Finsternis deutlich ist und wir erkennen, daß wir mit dem Islam als einer Macht, die der Wahrheit, wie sie mit Jesus ans Licht tritt, widerstreitet, zu tun haben, erst dann werden wir auch aus den Ergebnissen vergleichender Religionswissenschaften Nutzen haben.
Sie werden Menschen treffen, die den Koran ein Buch vom Teufel nennen, und andere, die sagen, er sei der Ausdruck eines erhabenen Glaubens an einen Gott. Beide Standpunkte sind aber nur ein Versuch, dort über die Mauer zu springen, wo sie am niedrigsten aussieht. Der erste Standpunkt sagt, daß alles, was mit dem Islam zu tun hat, vom Teufel stammt. "Es gibt nur eine richtige Meinung, nämlich meine; alle anderen sind völlig auf dem Holzweg." Was ist das für eine Anmaßung! Der Apostel Paulus hatte die große Frage der Rechtfertigung durch den Glauben, nicht durch die Werke des Gesetzes, zu klären. Dabei konnte er vom Gesetz wirklich nicht sagen, daß es teuflisch wäre. Der Glaube an den einen Gott ist ganz gewiß nicht teuflisch. Wenn man ehrlich sein will, kann man die Dinge so leicht nicht abtun. Aber wenn man auf der anderen Seite vom Koran als dem Ausdruck eines erhabenen Glaubens an den einen Gott spricht, dann läuft das nicht selten darauf hinaus, daß wir uns weiter nicht damit zu beschäftigen haben. Ein sehr bequemer Gedanke. Aber wer so denkt, scheint zu vergessen, daß das Judentum auch ein erhabener Monotheismus ist. Nur daß unser Herr und seine.Apostel es nicht dabei bewenden ließen.
Betrachten Sie einmal den Muslim mit den Augen des Neuen Testamentes. Das Neue Testament sagt über das Gesetz und die Propheten nur Gutes aus. Dennoch bringt es ein ganz neues Element, nämlich den Glauben an die Gnade Gottes als Grundlage der Erlösung. Von da an wird jeder einzelne Jude, Muslim, Christ oder Heide danach beurteilt, wie er auf dies neue Element antwortet. Die Juden konnten das nicht einsehen, und der Muslim kann es auch nicht. Für sie ist das neue Element ein Widerspruch zum Alten. In Christus ist es aber eine Erfüllung und kein Widerspruch.
Dies neue Element ist die Triebfeder für die Mission der Christen, die alle möglichen Menschen in der ganzen Welt mit ihrer Botschaft erreichen soll. Aber wer Mission unter Muslimen versucht, wird feststellen, daß er vieles, was er in seiner Kirche im Westen gelernt hat, revidieren muß, ehe er es in der Arbeit hier draußen verwenden kann. Warum ist das so? Die Antwort darauf können Sie der Kirchengeschichte entnehmen. Von ihren Anfängen an hat die Kirche einen großen Bogen um die islamische Welt gemacht. Eine Ausnahme waren die Kreuzzüge, bei denen die Christen den geistigen Kampf mit einem kriegerischen Angriff verwechselt haben. In der Neuzeit sind die Boten der Mission Tausende von Meilen weit gereist, um die Heiden zu erreichen. Aber dabei sind sie mit geschlossenen Augen an den Türen ihrer viel näher lebenden muslimischen Nachbarn vorbeigesegelt. Schauen Sie eine Missionskarte an, auf der die islamische Welt und die heutige Missionsarbeit eingezeichnet sind, und Sie werden feststellen, daß die Kirche große Umwege gemacht hat, um den Islam zu umgehen. Auf diese Weise sind wir bis heute nicht genötigt worden, unsere christliche Lehre über den Islam zu revidieren. Unsere Interpretation der wahren christlichen Lehre muß sich immer aus dem Kontakt entwickeln, der durch die Verkündigung des Evangeliums an einem bestimmten Ort entsteht. Da nun die Kirche eine Konfrontation mit dem Islam vermieden hat, hat sich ihre Theologie so entwickelt, daß wir heute, wenn wir dem Muslim Christus predigen wollen, merken, daß er sich auf einer ganz anderen Wellenlänge befindet. Er spricht nach Osten, wir sprechen nach Westen. Mit anderen Worten, Sie stehen vor der Aufgabe, herauszufinden: Wie sieht das Neue Testament den Muslim, und wie sieht der Muslim das Christentum?
Wir nehmen uns zunächst den ersten Punkt vor: Wie sieht das Neue Testament den Muslim? Wenn Sie den ehrlichen Wunsch haben, zu erfahren, wie das Neue Testament den Muslim sieht, dann ist der erste Schritt, daß Sie Ihr eigenes Verständnis vom Neuen Testament, wie Sie es bisher gelernt haben, offenlegen.
Es genügt ein einzelnes Beispiel, um diesen Punkt zu veranschaulichen. Sie haben wahrscheinlich eine bestimmte Auffassung von der Inspiration der Heiligen Schrift. Die Kontroverse über die Inspiration der Heiligen Schrift, wie sie in bestimmten christlichen Ländern ausgefochten wurde, hat aber keine Beziehung zu den Muslimen. Während Christen in Amerika oder Europa wegen verschiedener Meinungen über die Entstehung der Bibel einander bekämpfen, müssen wir uns im Kampf mit dem Islam auf die Tatsache konzentrieren, daß das Wort Fleisch wurde und nicht, wie die Muslime glauben, ein Buch. Dieser Unterschied ist von erheblicher Bedeutung. Diese Andeutung muß zunächst genügen, um.zu zeigen, daß das Neue Testament den Muslim aus einer Perspektive betrachtet, an die Sie bisher vielleicht noch gar nicht gedacht haben.
Wie sieht nun der Muslim das Christentum? In mancher Hinsicht besteht eine Parallele zu der Sicht, mit der Sie das Judentum betrachten. Das Judentum war keine Weltreligion, sagen Sie. Das sagt der Muslim über Ihr Christentum auch. Das Judentum bereitete das Kommen Christi vor, sagen Sie. Der Muslim sagt dasselbe über das Christentum. Nach Ihrer Meinung sollte man Juden zum Christentum bekehren, nach islamischer Meinung sollten Sie zum Islam bekehrt werden. Sie werden merken, daß es dem Muslim bei seiner Anschauung vom Christentum an drei Dingen mangelt, die wir schwer verstehen können.
Zunächst hat er kein geschichtliches Bewußtsein, soweit es die heiligen Bücher betrifft. Wir wollen uns nicht darüber lustig machen, denn Mängel dieser Art werden wir in der Kirchengeschichte auch entdecken. Der Muslim glaubt, daß alle heiligen Bücher von Gott vom Himmel gesandt wurden. Dieser Glaube macht jedes heilige Buch zu etwas, das über dem Geschehen der Geschichte steht. Somit gehören diese Bücher auch nicht in eine natürliche geschichtliche Entwicklung.
Der Muslim stellt sich vor, daß Gott - ganz abgesehen von der Geschichte - bestimmte Worte in Sätze faßte und sie einem Menschen sandte. Der Muslim spricht darum auch meistens nicht von Offenbarung, sondern von Inspiration, das ist Empfang göttlicher Sätze. Die Vorstellung des Christen von der Offenbarung ist, daß Gott in der Geschichte große Taten vollbracht hat, die wir mit den Propheten und Aposteln als eine Kundgabe der Absicht oder des Willens Gottes verstehen und die so interpretiert und verkündigt werden. Deshalb interessieren wir uns sehr für die Geschichte, während der Muslim sie ignorieren kann. Von der menschlichen Seite ist das Neue Testament ein historisches Dokument, von bestimmten Männern über unseren Herrn geschrieben. Der Muslim sieht darin im Grunde nur die Biographie eines Propheten. Das Ergebnis ist nun, wenn im Neuen Testament Aussagen über Jesus als historische Person gemacht werden und der Koran andere Aussagen dazu enthält, daß der Muslim niemals zögert, die geschichtlichen Aussagen zugunsten der inspirierten Aussage des Koran abzulehnen. Vielleicht beschuldigt er die Christen, das Neue Testament geändert zu haben. Jedenfalls mißt er der inspirierten Aussage des Koran mehr Gewicht bei als der historischen Aussaqe. Der Muslim wird das Christentum unweigerlich mißverstehen, weil er die Offenbarung in einem ganz anderen Bereich sucht als dort, wo ale zu finden ist. Diesen Punkt hat man in westlichen Ländern oft vergessen, wenn man um die Inspiration der Heiligen Schrift gefochten hat. Zweitens hat der Muslim gegenüber seinem eigenen Buch, dem Koran, oder der Geschichte des Islam im allgemeinen keine forschende oder kritische Haltung. Unsere eigenen Traditionen sind seit Generationen heftigen Feuern der Kritik ausgesetzt gewesen, nicht nur einer feindlichen Kritik, sondern auch der Kritik von Wissenschaftlern, die der Meinung waren, daß das Neue Testament als ein historisches Buch oder die Kirchengeschichte genau so kritisch betrachtet werden sollten wie alle anderen Bücher und alle sonstige Geschichte. Sogar die Sektierer haben in der Praxis eine kritische Haltung entwickelt, z.B. in der Frage der Kleidung der Frau und ihrer Stellung in der Gesellschaft. Für einen frommen Muslim aber ist ehrliche Kritik einer literarischen Quelle seines Glaubens undenkbar. Sie wäre eine Blasphemie.
Schließlich werden Sie den Eindruck gewinnen, daß es manchem Muslim an geistiger Integrität mangelt. überprüfen Sie sich selbst, ob Sie immer redlich in Ihren Gedanken sind. Es ist eine bekannte Sache, daß Menschen sich selbst ständig zu betrügen neigen, und wenn wir ehrlich sind und innehalten, wissen wir das auch. Der Muslim ist hier in einer schwierigen Lage. Zum Beispiel erlaubt der Koran die Sklaverei und reguliert sie. Die modernen Länder des Islam arbeiten aber Hand in Hand mit anderen Ländern, um der Sklaverei ein Ende zu bereiten. Ein anderes Beispiel: Als Indien geteilt wurde, wurden viele Hindumädchen und -frauen als Beute verschleppt, was nach dem Koran ein vollkommen legitimes Verfahren ist. Dennoch wetterten alle muslimischen Lokalzeitungen gegen diese Brutalität. Nicht eine Stimme wurde laut, um zu sagen, daß der Koran die Gefangennahme von Frauen als Kriegsbeute als rechtmäßig ansieht.
Was wird der Muslim tun? Er wird den Koran als ewig vollkommen und immerwährend gültig betrachten, und er wird die Entwicklung in den islamischen Ländern, auf die er stolz ist, mit der Mentalität eines Advokaten zu rechtfertigen und als islamisch auszugeben versuchen. Jedenfalls bekommen wir nicht selten den Eindruck, daß beim Muslim jedes Argument recht ist, um einen Streit zu gewinnen. Was werden wir dagegen unternehmen?
Viele Christen geben die Auseinandersetzung auf. Es wäre noch einigermaßen zu ertragen, wenn sie nur schweigen würden, aber es wird dann behauptet, daß Predigt, Dialog und Zeugnis zwecklos sind. Wir müßten das Christentum leben, behaupten sie, wir müßten den Muslimen zeigen, daß wir eine Kraftquelle des Glaubens haben, von der sie nichts wissen. Das solle dazu beitragen, ihnen die Augen zu öffnen und nach unserem Glauben zu fragen. Allerdings findet jeder, der die Heilige Schrift studiert, daß der Herr nicht von uns erwartet, unsere Gläubigkeit und unsere guten Taten als Aushängeschild zu gebrauchen, um damit gleichgültige oder feindliche Menschen anzuziehen. Im Gegenteil. Er sagt, eine absichtliche Verheimlichung sei vorzuziehen (Mt 6, 16ff) Dafür gibt es zwei Gründe: Wenn Sie der Versuchung unterliegen zu glauben, daß Sie in der Beziehung zu Gott besser dastehen als der Muslim, dann stehen Sie an der Stelle der Pharisäer im Neuen Testament, die unser Herr so unbarmherzig verurteilt. Auch wenn Sie sehr alt werden, Ihr Verhältnis zu Gott bleibt doch das eines Sünders, der auf Vergebung angewiesen ist. Wenn Sie über sich selbst sprechen müssen, warum sagen Sie dann nicht das wirklich Fundamentale, das Sie zu Gott und zu den Menschen sagen können? Warum sagen Sie dem Muslim nicht, daß Sie im selben Boot sitzen wie er? Wir erhalten durch Christus und seine Kirche ständig unverdiente Vergebung und Leben. Der Muslim nicht. Aber das ändert nichts daran, daß er ebenso wie wir ständig der Vergebung und des ewigen Lebens bedarf. Wenn wir dies im Gedächtnis behalten, werden wir nicht hochmütig auf ihn herabsehen und können uns auch nicht zwischen ihn und unseren Herrn stellen.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum unser Herr sagt, daß unsere linke Hand nicht wissen moll., was die rechte tut. Denn wenn wir annehmen daß die guten Werke in irgendeiner Weise Christus bezeugen, verdrehen wir den Sachverhalt vollständig. Der Muslim interpretiert Ihre Worte und Handlungen nämlich ganz anders als Sie. Zum Beispiel sagen Sie: Ich habe eine Kraftquelle des Glaubens in mir, ich führe ein gutes christliches Leben, und ich opfere mich auf, um den armen Menschen zu helfen. Das soll Ihr Zeugnis für Christus sein? Der Muslim betrachtet Ihre gut organisierte und modern aufgezogene Tätigkeit, und was sieht er? Einen Menschen, der Geld und Verstand genug hat, um daraus einen Erfolg zu machen, und der sich dadurch eine Belohnung im Himmel erarbeiten will. Dieser Muslim kommt nun mit einem Problem zu Ihnen, das er für viel wichtiger hält als Ihre organisatorischen Fähigkeiten. Er erklärt Ihnen, daß er nicht verstehen kann, wie Christus beides, Gott und Mensch, sein kann. Entweder beginnen Sie nun bei seiner Frage und predigen das Evangelium, oder Sie bringen ihn zur Tür, versichern ihm, daß Diskutieren keinen Sinn hat, daß Sie aber eine Kraftquelle des Glaubens besitzen, die er nicht hat, und lassen vielleicht durchblicken, daß er auch ein Mensch auf der Suche nach der Wahrheit werden könnte, wenn er Ihr gutes Leben einmal näher betrachtet. Der Muslim geht ab und sagt: Der versteht sich darauf, sich ins rechte Licht zu setzen! Er weiß aber offenbar über seine eigene Religion nicht Bescheid, oder er hat keine Zeit gehabt, mit mir darüber zu reden. und dann hat der Muslim so recht, daß es einem weh tun muß. Immer, wenn wir uns selbst in irgendeiner Weise zwischen Christus und den Muslim drängen, verhindern wir das, was Christus will. Muß man nun annehmen, es gibt nur die beiden Möglichkeiten: Entweder eine endlose Diskussion über die christliche Lehre oder das sogenannte Zeugnis des christlichen Lebens? Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Bitte, ziehen Sie kein Gesicht, wenn ich jetzt von der Möglichkeit der Verkündigung rede. Sie haben recht, das ist die allerschwerste. Aber so wie Christus eine lebende Wirklichkeit ist, so ist auch jede wahre Lehre, die richtig verstanden wird, ein guter Ausgangspunkt, um Christus zu verkündigen. Wir haben unsere Lehre und unsere Theologie nicht, um darüber mit Nichtchristen oder mit Christen zu streiten, sondern als Hilfsmittel, um Christus zu predigen. Und dabei kommt es darauf an, daß das, was wir sagen, nicht unsere private Meinung ist, sondern der Glaube der christlichen Kirche.