Das Dogma von der Dreieinigkeit
Die muslimische Polemik gegen das Christentum hat sich stets mit Nachdruck gegen die Lehre von der Trinität und der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes, gewendet. Hier wird nicht versucht, die Entwicklung dieser Lehren zu verfolgen. Uns geht es um die Begegnung mit den Muslimen. Verkündigung ist immer spezifisch, nie allgemein. Wir verkünden Offenbarung, nicht Philosophie. Die Lehre von der Heiligen Dreieinigkeit wird im Neuen Testament nicht oft und ausführlich erwähnt; dennoch wissen wir alles, was wir über die Heilige Dreifaltigkeit wissen, aus der Bibel. Die Bibel selbst nötigt uns, die Frage nach dem Geheimnis der Heiligen Trinität zu stellen. Es existiert schlechthin gar nichts, weder im Menschen, noch in der Natur, im Himmel über uns oder in der Erde unter uns, was uns nötigen würde, den Gedanken an einen dreieinigen Gott ins Auge zu fassen. Wäre die ganze Streitfrage nicht durch die Bibel selbst aufgeworfen, bestünde sie gar nicht.
Die Lehre von der Dreieinigkeit ist ein Werk des Glaubens. Leute, die Christus als ihren Herrn annahmen, haben sich alle Mühe gegeben, ihren Glauben anderen verständlich zu machen. Das Ergebnis war nicht die Entwicklung von Methoden, wie man am besten an Nichtchristen herankommt, sondern ein Bekenntnis.
Nur die Bibel führt uns zur Frage nach dem Mysterium der Heiligen Trinität. Es handelt sich also nicht um eine philosophische, mathematische oder abstrakte Theorie. Ein abstrakter philosophischer Nachweis, daß ein sich offenbarender Gott nicht mathematisch Einer sein kann, wäre zwar kein Ding der Unmöglichkeit. Damit wäre aber nichts über den Gott der Kirche gesagt. Die Kirche spricht ausschließlich und spezifisch vom dreieinigen Gott: Vater, Sohn und Heiligem Geist, offenbart im Sohn.
Das apostolische Glaubensbekenntnis enthält keinen einzigen philosophischen Fachausdruck. Das nizänische Glaubensbekenntnis enthält das Wort Substanz oder Wesen, das im damaligen Sprachgebrauch ein philosophischer Fachausdruck gewesen sein kann - oder auch nicht.
Dann gibt es noch das interessante Wort "Person", das viel Verwirrung gebracht hat. Aber es wurde zuerst als theologischer Fachausdruck benutzt und war kein philosophischer Begriff.
Wenn man mit den Augen des Glaubens liest, spricht das Neue Testament doch ganz offensichtlich von Gott in drei recht verschiedenen Arten und Weisen. Die Unterscheidungen sind so scharf ausgeprägt, daß man der Schlußfolgerung nicht ausweichen kann, daß der Vater nicht der Sohn ist, der Heilige Geist weder der Vater noch der Sohn. Und dennoch ist der Gott des Neuen Testaments der eine wahre, lebendige Gott. Die Tatsache der Heiligen Dreieinigkeit wird im Neuen Testament einfach vorausgesetzt, ganz so, wie die Existenz Gottes als Gegebenheit akzeptiert wird.
Als die Kirche später ihren Glauben in klaren Ausdrücken zu formulieren versuchte, war es schwierig, Begriffe zu finden, die in angemessener Weise zum Ausdruck brachten, was man eigentlich sagen wollte. Offenbar ist "Substanz" ein armseliges Wort; denn es suggeriert das Gefühl von etwas Massivem. Das damals im Theater gebrauchte Wort "Person" bedeutet zuerst eine Maske, dann auch die vom Schauspieler gespielte Rolle. Damals spielten die Schauspieler meist mehr als eine Rolle. Im Sprachgebrauch der Theologen kam dann heraus, daß Gott (der himmlische Schauspieler oder Agierende selber) nur Einer sei, aber drei Rollen Spielte. Damit waren die "Rollen" abgewertet - hier ging es der Kirche um eine Realität, die man nicht mit einer anderen Wirklichkeit vermischen darf.
Das athanasianische Glaubensbekenntnis erklärt: Man darf weder die Personen miteinander verwechseln noch die Substanz teilen. In der Sprache der Gegenwart ist das Wort "Person" auch problematisch, weil "Person" die Unterscheidung eines Individuums von einem anderen anzeigt. Das naheliegende Mißverständnis heute ist nicht die Verwechslung der Personen, sondern die Teilung der Substanz, liegt also in Richtung einer Drei-Götter-Lehre.
Könnten wir uns mit einem Glaubensbekenntnis begnügen, das lautete: "Es gibt keinen anderen Gott als Allah", dann könnten wir getrost auf philosophische Art über das Wesen dieses Gottes diskutieren. Doch die Bibel läßt uns so nicht verfahren; sie sagt vielmehr: Der eine wahre Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist der Herr. Eines der allerersten Glaubensbekenntnisse der frühesten Form der Kirche hieß vermutlich: "Christus ist der Herr" oder auch "Christus ist auferstanden".
In beiden Aussagen geht es um das gleiche. Diese Glaubenssätze haben den Sinn: Offenbarung fordert nicht philosophische Studien, damit man sie empfangen kann, sondern nur die Bereitwilligkeit, sie anzunehmen, also Glauben und Gehorsam. Während die Philosophie an der Frage nach der göttlichen Natur in ihrer Beziehung zum Leben als Ganzheit interessiert ist, will die Offenbarung die Geschöpfe in die rechte Beziehung zu dem sich selbst erschließenden Herrn bringen. Philosophische Argumente führen hier leicht in die Irre.
Sehr früh haben die Christen versucht, den Koran als Grundlage zur Darlegung der Heiligen Trinität zu nehmen. Mohammed, so sagt man sogar, müsse die wahre Lehre der christlichen Kirche gekannt haben, und was er wiederholt im Koran verurteilt, sei durchaus nicht die echte christliche Lehre. Andere folgern aus den verschiedenen Ehrenbezeichnungen Christi wie "Wort Gottes" und "Gesandter", die sich im Koran finden, daß diese besonderen Bezeichnungen und Titel doch gewiß den Glauben an die Göttlichkeit Christi und demzufolge auch den Glauben an die Heilige Dreieinigkeit beinhalten müßten. Der Koran, so meinen diese Leute, lege im Grunde Zeugnis für das Evangelium ab.
Eine solche Verwendung des Koran kann man nicht streng genug verurteilen, ob es nun um die Heilige Dreieinigkeit oder um eine andere Lehre geht. Warum? Kein christlicher Missionar kann den Koran und Mohammed in allem Ernst als Werkzeuge der Offenbarung auffassen, und das geschähe mit dieser Methode. Niemand kann die Tatsache in Zweifel stellen, daß Mohammed ungeachtet seiner Grammatik und seiner Wortwahl niemals direkt oder indirekt eine Lehre billigte, die irgendwie die absolute, unwandelbare, mathematische Einheit Allahs bezweifelt oder bestreitet. Alles, was über die Heilige Trinität bekannt ist, kommt einzig und allein zu uns aus der Bibel, d.h. aus der Offenbarung. Damit verbietet sich die Inanspruchnahme des Korans bei den Versuchen, die Heilige Dreieinigkeit zu verkünden.
Es gibt aber noch eine andere Art und Weise, wie die Kirche in vergangenen Jahrhunderten versuchte, ihre Lehre von der Heiligen Dreifaltigkeit den Leuten anschaulich zu machen. Man ging aus von den "Vestigia trinitatis", den "Spuren", Zeichen oder Symbolen der Heiligen Dreieinigkeit, die man in der Welt finden kann. Ich möchte hier einige aufzählen. Man kann sie in fünf Bereiche ordnen: die Natur, die Kultur, die Geschichte, die Religion und der Mensch. Natur: Erzbischof Anselm von Canterbury benutzte gern den Nil als Beispiel. Da gab es die Quelle, den Strom, das Meer. Die Quelle ist der Ursprung, der Strom ist der Kanal, und das Mittelmeer ist die Erfüllung.
Auch Luther pflegte bei seinen Tischreden von Zeichen der Dreieinigkeit in der Natur zu reden, beispielsweise: Gewicht - Zahl - Maß; fest - flüssig - gasförmig; Höhe - Breite - Länge; gelb - rot - blau (die Grundfarben). Im Raum der Kultur gibt es Drei-Klänge, z.B. in der Teilung der Gesellschaft in Lehrstand - Nährstand - Wehrstand. In der Musik wären es die drei grundlegenden Töne des Akkords: Erster - dritter - fünfter Ton, in der Dichtkunst die drei Formen Epik, Lyrik, Dramatik. Im Bereich der Geschichte ist folgendes von Interesse: Das petrinische Zeitalter der Furcht in der Vergangenheit entspricht dem Vater. Das paulinische Zeitalter der Wahrheit, die Gegenwart, entspricht dem Sohn. Das johanneische Zeitalter der Liebe in der Zukunft entspricht dem Heiligen Geist.
In der Religion gibt es viele Beispiele: Erkenntnis - Meditation - Kontemplation; Glaube - Vernunft - Versenkung; Abhängigkeit - Sicherheit - Sehnsucht.
In Indien: Brahma - Wischnu - Schiwa; Weltschöpfer, Welterhalter, Weltzerstörer.
In Babylon: Himmel, Erde, Meer oder Sonne, Mond, Venus.
In Ägypten: Osiris, Isis, Horus = Gottvater, Gottmutter, Gottsohn.
Sprechen wir vom Menschen. Augustinus benutzte mit Vorliebe: Gedächtnis - Intellekt - Wille als die Dreiheit in der Einheit des Menschen. Andere lauten: Liebender - geliebtes Wesen - Liebe. Oder: Leib - Seele - Geist. Aber auch wenn man die Liste noch verlängert und alle Beispiele sorgfältig prüft, wird man herausfinden: keines von ihnen bietet eine geeignete oder gar befriedigende Illustration der Heiligen Dreieinigkeit, wie sie zur christlichen Lehre gehört.
Die Gruppierung von drei Elementen ist keineswegs "Trinität" - es besteht keine wesentliche und notwendige Einheit, oder es ist gar die Zahl drei, rein zufällig, oder es ist die innere Unterscheidung weder klar noch notwendig. Am Ende findet man, daß man mit nichts anderem als der bloßen Zahl 3 zurückgelassen wird. Das ist nicht sehr viel, wenn man die Lehre von der Trinität mit Hilfe solcher Spuren verkünden will.
Gelegentlich konnte man christliche Missionare, die vor Muslimen auftreten, sagen hören: "Wenn man überhaupt imstande ist, in der Natur Gott zu erkennen, dann muß es auf jeden Fall der dreieinige Gott sein; denn alles in der Natur weist diese bemerkenswerte Dreiheit in seinen Beziehungen auf. Sogar die ältesten Naturreligionen sahen schon die Dreiheit in der Natur; nur schrieben sie fälschlich das drei getrennten Gottheiten zu".
Welches ist die Folge, wenn man so argumentiert? zunächst deutet es an, daß unsere Kenntnis der Offenbarung zwei verschiedene Quellen habe, nämlich einmal die Aufzeichnungen, die wir in der Bibel finden und daneben die Natur. Fragen wir nun aber: Welcher dieser Faktoren hat den Vorrang? dann kann die Antwort doch nur allzu leicht lauten: Die Natur, sie ist älter als die Bibel; und die Natur inspirierte bei vielen Völkern den Glauben an göttliche Dreiheiten schon lange, ehe die Bibel entstand. Am Ende hätte man als allererste Offenbarung eben die Natur anzuerkennen, und aller Wahrscheinlichkeit nach ist dann die Bibel lediglich eine Variante. Damit wäre im Grunde Gottes Offenbarung abgeschoben.
Zweitens gilt es zu bedenken: Wenn man sich auf die Lehre von den Spuren der Trinität einläßt, hat der Muslim völlig recht, wenn er behauptet, der Christ tue etwas, was Menschen in sämtlichen Epochen getan haben, nämlich Gottheiten nach ihrem eigenen Bilde machen. Mit anderen Worten: Man stützt dann seinen Glauben an die wahre Offenbarung auf rein irdische Dinge.
Die Lehre von den Spuren der Trinität kam um die Zeit Augustinus' auf, um einen intellektuellen Beweis für das zu suchen, was die Kirche schon einige Jahrhunderte als Glauben akzeptiert hatte. Die Position der Kirche ist: Kein Mensch kann zum Glauben an Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist kommen, außer durch innigen Kontakt mit Jesus Christus. Thomas von Aquin sagte, daß die Ungläubigen all diese Argumente von Spuren der Trinität verspotten und verhöhnen. Wenn wir realistisch denken und ehrlich bleiben, können wir sie dafür nicht tadeln! Es ging mir darum, auf die Bibel als einzige Quelle der Lehre von der Heiligen Dreifaltigkeit zu verweisen. Die Bibel predigt nicht die Heilige Dreieinigkeit! Was die Bibel tut, ist wesentlich schwieriger: Sie geht von der Realität der Heiligen Dreifaltigkeit aus und spricht auf dieser Grundlage vom Glauben, vom ewigen Leben und den Werken Gottes. Wenn Christus den Christen und den Nichtchristen auf der Grundlage eines lebendigen, wirkenden Glaubens an die Heilige Dreieinigkeit vorgestellt würde, dann würde jeder Satz und jedes Tun bei uns diesen Glauben widerspiegeln. Das Bedürfnis nach einer Klärung und Erklärung würde entstehen, es entstand ja schon sehr früh im Leben der Kirche. Doch das ist nicht dasselbe wie "predigen".