Gott nimmt Gestalt an

"Empfangen vom heiligen Geist"

 

Ein Studium des Neuen Testaments beantwortet uns drei Grundfragen: Wer ist Gott, was tut Gott und für wen tut Gott das, was er tut. Zuletzt haben wir besprochen, wer Gott ist. Jetzt geht es um die Frage, was Gott tut. Es gibt nur eine einzige Antwort auf die Frage, was Gott tut. Diese Antwort macht das Christentum zu etwas Einmaligem.

 

Im Judentum, im Islam, aber auch in der griechischen Religionsphilosophie und den Mysterienreligionen sind zwei Grundgedanken vorherrschend: die Transzendenz Gottes (er ist unwandelbar, unbegrenzbar, leidensunfähig, gestaltlos usw.) und die Immanenz Gottes - Gottes Name Immanuel, Gott mit uns, macht auf fromme Leute überall Eindruck. Man meinte, Immanuel sei im Tempel in Jerusalem im Allerheiligsten. Diese Vorstellung findet sich auch im Koran* "Gott ist uns näher als die Halsschlagader" (Sure Quaf Vers 16). Die Immanuel-Idee entspricht auch der Konzeption der "Hindu-Avatars". Aber jetzt geht es um den Unterschied. Man kann an die Nähe eines transzendenten Gottes glauben, solange Gott nicht Gestalt annimmt. Die Muslime werden kaum Widerspruch erheben, wenn von "hulul", der Durchdringung oder Einwohnung, geredet wird. Wenn sie erklären, Gott sei einem näher als die Halsschlagader, dann denken sie an Gott als Allgegenwärtigen. Aber "das Wort ward Fleisch", das ist etwas ganz anderes.

 

In 35 Jahren missionarischer Erfahrung musste ich feststellen, dass eine große Anzahl, wahrscheinlich die Mehrheit der Christen, darunter auch Missionare unter Muslimen, bei jeder Diskussion über alle anderen Aspekte der Christologie sich verständig und geduldig beteiligen. Sobald aber dieser Punkt "Gott nimmt menschliche Gestalt an" zur Sprache kommt, werden sie ungeduldig und unvernünftig.

 

Die Christen sind entweder so spiritualistisch oder aber so praktisch eingestellt, dass sie das theologische Haarspalterei nennen. Und die Muslime erklären rundheraus, wir seien idiotisch, schwachsinnig und verdreht im Denken, wenn wir die Prophetenschaft Jesu durch das gotteslästerliche und aberwitzige Geschwätz verderben, Gott nähme in ihm Gestalt an. Wenn sie das Neue Testament lesen, nehmen sie die Aussagen über Jesu Menschlichkeit buchstäblich als Wahrheit an, aber alles, was in Richtung aufs Göttliche weist, erklären sie zur bloßen Allegorie.

 

Ich möchte einen Punkt am liebsten in roter Farbe hervorheben, weil er so wichtig ist. Das wirkliche Interesse der Kirche an dieser Frage war nicht, wie so viele meinen, metaphysischer oder philosophischer Natur. Nein, es ging ihr um die Errettung der Menschheit. Die Kirche wusste, dass es unter dem Himmel keinen anderen Namen gab als den Namen Jesus, durch den Menschen gerettet werden sollen. Es war die Aufgabe der Kirche, diesen Namen so zu verstehen, dass kein Zweifel an der Kraft dieses Namens zur Erlösung aufkommen konnte. Diese Aufgabe stand auch damals mit der Metaphysik der Philosophen in starkem Widerspruch. Abgesehen von der Gnosis waren die ersten Abweichungen in der Kirche wohl der Ebionismus und der Doketismus. Ersterer versuchte Jesus von Nazaret in den Rang und in die Natur Gottes zu erheben, während der zweite in Jesus die Personifikation der Idee Gott sah. Fast alle Angriffe von Muslimen auf die Lehre von den zwei Naturen Christi setzen die eine oder die andere Lehre in der Kirche voraus. Ausdrücke wie "jungfrau-geborener Gott" (die Begattung ist ein körperlicher Akt, der Gott auf tierisches Niveau herabziehe) finden sich in der gesamten polemischen Islam-Literatur, der alten und der neuen.

 

Die Muslime einer früheren Epoche hatten Gründe, anzunehmen, dies sei die Lehre der Kirche. Im Orient folgten die monophysitischen Kirchen, zu denen sowohl die Jakobiten in Syrien wie die Kopten in Äthiopien gehörten, der Lehre - das tun sie bis heute - Christus habe nur eine Natur, die göttliche.

 

Sie konnten vom "gekreuzigten Gott" sprechen. Gott wurde in der Gestalt Jesu gesehen, so dass Jesus nur scheinbar Mensch gewesen sei. Andererseits glaubten die Nestorianer in Syrien, Christus habe zwei Naturen besessen, die zwei Personen in einem Leib geworden seien. Sie waren aber nicht vereinigt, und so konnte man zu jeder Zeit fragen, ob in Christus die göttliche oder die menschliche Natur am Werke war. Diese Lehren waren damals weit verbreitet. Deshalb haben die Muslime der Frühzeit eine Entschuldigung für ihre Unkenntnis des rechten Glaubens der Kirche.

 

Das Resultat ist eine Transformation, nicht jedoch Gestaltwerdung Gottes, wenn ein Mensch in irgendeiner Gestalt Gott wird, wie der Ebionismus meinte, oder wenn Gott in irgendeiner Form Mensch wird, wie der Doketismus annahm. Alles Transformierte ändert sich, es bleibt nicht länger, was es war. Was es war, existiert dann nicht länger. Wenn also Gott in einen Menschen oder ein Mensch in Gott verwandelt wird, ist die Möglichkeit echter Offenbarung im Grunde verbaut. Denn das Umgewandelte kann uns nicht erzählen, was es war, vielmehr lediglich, was es jetzt ist. Wegen dieses Sachverhalts schließen Ebionismus und Doketismus die echte Möglichkeit der Offenbarung aus. Wenn es aber keine echte Offenbarung gibt, dann haben wir auch keine Kenntnis von Versöhnung und Erlösung.

 

Die Kirche beantwortet die Frage, was Gott tut, in dem Sinne: Gott nimmt Gestalt an. Dabei sagt sie nur, was das Glaubensbekenntnis mit den Worten ausdrückt: "Empfangen vom Heiligen Geist". Oder, wie es der Engel Maria verkündete: "Der Heilige Geist wird dich überschatten". (Lukas 1,35). Das wesentliche Geheimnis Jesu Christi besteht nicht darin, dass er durch einen unmittelbaren schöpferischen Akt geboren wurde, während andere auf dem Wege der geschlechtlichen Erzeugung geboren werden. Es gibt drei Akte ganz unmittelbarer Erschaffung von Individuen, die in der Heiligen Schrift Erwähnung finden: die Erschaffung Adams, Evas und Jesu Christi. Adam und Eva werden wegen der Art ihrer Erschaffung nicht für göttlich gehalten. Warum sollte das bei Jesus der Fall sein? Die geschlechtliche Zeugung ist ebenso ein großes Mysterium wie ein unmittelbarer Schöpfungsakt.

 

Im Neuen Testament wird Christus als der eine geoffenbart, in welchem echte Geschöpflichkeit aufgrund von Gottes freiem, souveränen Akt mit der ungeschaffenen Gottheit vereinigt ist. Reine Geschöpflichkeit ist etwas Wundersames. Einerseits ist sie völlig abhängig von einem Akt Gottes, andererseits ist sie gerade durch diesen Akt etwas außerhalb von Gott, unabhängig von Gott, unterschieden von Gott. Das Geschöpf sagt "Ich" von sich und "Du" zu Gott. Christus andererseits als der ewige Logos ist nicht abhängig von einem Akt Gottes, steht nicht außerhalb Gottes, ist nicht unabhängig von Gott oder verschieden von Gott. Gottes wesenhafte Natur ist derart, dass Christus der Sohn in genau derselben Weise ist und das in alle Ewigkeit, so wie der Vater der Vater ist. Deshalb besagt "empfangen vom Heiligen Geist", dass Gott durch einen freien, souveränen Akt das Unmögliche vollbracht hat. Er hat das Geschaffene mit dem Unerschaffenen vereinigt, das außer ihm Befindliche mit dem in ihm Befindlichen, das, was von ihm unabhängig ist, mit dem, was von ihm abhängig ist, das, was sich von ihm unterscheidet, mit dem, was in alle Ewigkeit er selbst ist und bleibt.

 

Was wir darüber sagen können, ist nicht eine Erklärung, nur Zeichen für das Mysterium. Hier erhebt der Muslim immer die Hände in frommem Entsetzen. Es ist für ihn einfach Gotteslästerung, von der Vereinigung Gottes des Schöpfers mit einem Mädchen zu sprechen, das doch seine Schöpfung ist! Genügt es dann, dem Muslim zu versichern, ein solcher Gedanke sei allerdings grauenhaft und läge dem Sinn des Christen unendlich fern? Diese Verteidigung geht fehl. Das Geheimnis der göttlichen Empfängnis hat weder mit einem Akt der Erschaffung noch einem Akt geschlechtlicher Zeugung zu tun. Das Wort "empfangen" bekommt hier einen neuen Sinn; weil das Heilige, das geboren werden sollte, der Sohn Gottes war, konnte es, der Natur der Sache nach, unmöglich Gegenstand eines schöpferischen Aktes sein. Das Wesen, das schon an allem Anfang bei Gott war und selbst Gott war, konnte, als sich die Zeit erfüllt hatte, nicht erschaffen oder gezeugt werden. Wir müssen menschliche Worte anwenden, und es sind keine anderen Worte gefunden worden als "empfangen", "gezeugt". Hier sehen wir uns vor dem Mysterium. Wir können eine von drei Richtungen einschlagen: Die erste Möglichkeit ist die, die Schwierigkeit kurzerhand zu ignorieren. Das ist begreiflicherweise der gewöhnlichste, leichteste, aber auch gefährlichste Weg. Ohne Begreifen bleibt der Glaube an Jesus Christus entweder ein schwaches, unbeständiges, kränkliches Ding oder aber ein kraftvoller Aberglaube aus lauter Unwissenheit und Unverstand. Paulus sagt: "Ich weiß, an wen ich glaube". Er tadelt die Juden, weil sie religiöse Eiferer ohne Erkenntnis seien.

 

Die zweite Richtung ist die zahlreicher Irrlehrer, die der Ansicht huldigen, ein Geheimnis sei eine Wahrheit, die der Mensch zwar bisher noch nicht begriffen habe, die indessen nicht für alle Zeit grundsätzlich außerhalb seines Erkenntnisbereichs liege. Aber außer immer neuen Irrtümern ist hier nichts gewonnen.

 

Drittens gibt es den Weg der Definition. Wenn man an der Frage der Christologie arbeitet, sollte man nicht von Mysterium reden, ehe das Problem fest umrissen und definiert wurde. Solange eine der Regeln wissenschaftlicher Forschung anwendbar ist, seien es biologische, psychologische, physiologische, philosophische oder theologische Forschungen, muss man das natürlich tun. Ist die Beschreibung des Problems dagegen so, dass keine dieser Regeln mehr anwendbar ist, dann sieht man sich einem Geheimnis, einem Mysterium gegenüber. Das einzige, was man dann tun kann, ist, sicherzustellen, dass die Feststellung und Definition des Problems so korrekt ist, wie sie nur sein kann.

 

Wenn wir mit Muslimen zu reden haben, dürfen wir nie die Tatsache bestreiten, beschönigen oder verhehlen, dass die Wurzel alles echten Christentums ein Mysterium ist. Dies Mysterium ist nunmehr manifest, so dass wir es klar feststellen und exakt definieren können. Wir wissen genau, was es ist, nämlich: Gott nimmt Gestalt an; ferner: weshalb Gott Gestalt annimmt - um der Rettung der Menschheit willen; weiter: in wem Gott Gestalt annimmt - in Jesus von Nazaret; schließlich: wie Gott Gestalt annimmt - durch Vereinigung eines Erschaffungsvorgangs mit einem Empfängnisakt. Dagegen wissen wir nicht, auf welche Weise dieses extrem unmögliche Ereignis für Gott dennoch möglich ist.

 

Das Schlimmste, was Sie beim Gespräch mit einem Muslim tun können, ist der Versuch, diese Unmöglichkeit als vernunftgemäß und möglich hinzustellen. Viel besser ist es, die völlige Unmöglichkeit zu betonen, auch soweit wir Gott verstehen können, und zugleich die Tatsache der Endlichkeit menschlichen Denkens hervorzuheben. Unser Glaube steht und fällt mit der Geschöpflichkeit Christi; denn durch diese Geschöpflichkeit macht Gott sich uns bekannt, indem die vollkommene Geschöpflichkeit Christi mit seiner vollkommenen Gottheit vereinigt ist.

 

Ein weiterer gewichtiger Grund ist der: Die genannte Doppelheit des Wesens ist nicht beschränkt auf die Gestalt Christi. Lassen Sie mich einige ähnliche Punkte nennen: Offenbarung als etwas Geschichtliches. Die den Fußstapfen Israels folgende Kirche hat jederzeit daran festgehalten, dass Gott sich in der Geschichte offenbart. Nicht in der Geschichte als solcher, sondern in konkreten Ereignissen in einem Ausschnitt der Geschichte. Ein Geschichtsforscher hat nach den Regeln seiner Wissenschaft voll und ganz das Recht, jegliches Ereignis und jeden Ausschnitt der Geschichte zu studieren, auch das, was die Kirche als Offenbarung betrachtet. Anhand der vorhandenen Informationen vermag der wissenschaftliche Historiker jede Begebenheit in ihren umfassenderen Zusammenhang hineinzustellen, die Kontinuität von einem Ereignis zum andern hin aufzuzeigen, zu erklären, auf welche Weise es "so kam", was es wirklich damit auf sich hatte, was damit gemeint war, welche Ergebnisse daraus erwuchsen. Das ist die reine Geschöpflichkeit konkreter Ereignisse in der Geschichte. Würden sie beseitigt und Fabeln oder übernatürliche Ereignisse an ihre Stelle gesetzt, so könnten wir nicht länger von Offenbarung als Geschichtsereignis reden. Nehmen wir beispielsweise den Tod unseres Herrn - der wissenschaftliche Historiker kann alle Ursachen erklären, die in durchaus natürlicher Weise bis zur Kreuzigung hinführen. Könnte er das nicht, blieben wir im Zweifel an der Geschichtlichkeit dieses Todes und deshalb auch an dessen Wert für uns als Akt Gottes, in welchem er sich selbst offenbart. Der Mensch. Luthers berühmte Feststellung "gerecht und Sünder zugleich", fasst alles Menschsein zusammen. Blicken Sie auf sich selber. Von der einen Seite aus gesehen, kennen Sie sich als Sünder, nicht nur theoretisch, sondern in Wirklichkeit, von der andern Seite her kennen Sie sich als gerecht, nicht bloß theoretisch, sondern vom Urteil Gottes her. Wenn Sie diese Doppelheit der Natur aufbrechen, so dass der Sünder verschwindet, verschwindet zugleich der Gerechte.

 

Die Kirche. Von ihrer Geschöpflichkeit her ist die Kirche eine große Mannigfaltigkeit von ganz gewöhnlichen Leuten, guten, schlechten und mittelmäßigen, die in einer menschlichen Organisation verbunden sind. Und doch ist diese Menge der Leib Christi, die Erlösten Gottes aus allen Nationen und allen Volksstämmen, die Heiligen. Wenn aus irgend einem Grunde diese Vielheit der Menschen zu Engeln werden sollte, dann wäre auch der Leib Christi verschwunden. Nur wenn man der Geschöpflichkeit der Kirche sicher ist, kann man auch der Heiligen, des Leibes Christi gewiss sein.

 

Die Bibel. Die Bibel ist ein Buch voll von gewöhnlichen Worten und grammatischen Konstruktionen. Sie ist das Werk einer unbekannten Zahl Autoren. Ihre verschiedenen Teile sind verschieden wertvoll, genauso wie bei einem beliebigen anderen Buch. Und doch sind es gerade die Worte und Sätze dieses Buchs, die das Wort Gottes werden. Wenn die Geschöpflichkeit dieses Buches vernichtet wird, hat man auch die Möglichkeit zerstört, dass es zum Wort Gottes für alle die wird, die seine Botschaft vernehmen.

 

Wenn man bei einem dieser Punkte die doppelte Wesensart bestreitet, dann verliert man die Sache ganz. Wenn Sie mit einem Muslim darüber sprechen wollen, müssen Sie damit beginnen, ihm zunächst die geschöpflichen und ganz natürlichen Aspekte dieser Dinge auseinanderzusetzen. Wenn Sie beispielsweise einem Muslim erklären, dass wir am Tische unseres Herrn Fleisch essen und Blut trinken, dann sprechen Sie eine Lüge aus, denn dann haben Sie die Doppelnatur des Sakraments ungebührlich vereinfacht. Ebenso: Wenn Sie sagen, die Kirche sei eine Versammlung von Heiligen, wären Sie im Unrecht, denn auch das ist eine ungebührliche Vereinfachung der Doppelnatur der Kirche. Wenn Sie von sich selber als einem rechtschaffenen Wesen sprechen, ignorieren Sie die Tatsache, dass Sie zugleich ein Sünder sind; denn nur von letzterer Tatsache aus können Sie zugleich gerecht genannt werden. Wenn Sie nun wirklich vertraut mit der Grundtatsache geworden sind, dass Gott Gestalt annimmt, dann werden Sie verstehen, dass all die anderen Doppelheiten des Wesens bloße Verzweigungen der einen, zentral wichtigen Doppelheit sind: dass in Jesus Christus völlige Menschheit mit völliger Gottheit zusammengeht. Wir neigen dazu, das Evangelium und seine Botschaft zu vereinfachen. Ein Beispiel: Ein Missionar liest das Evangelium vom Leben unseres Herrn zusammen mit einem Muslim. Er kommt zu der Geschichte, in der Jesus den Sturm auf See stillt. Er sagt dem Muslim: "offensichtlich kann nur Gott die Kräfte der Natur beherrschen. So etwas liegt außerhalb der menschlichen Möglichkeiten".

 

Aber der Muslim gibt die Antwort, nach dem Islam hätten Propheten und manche Heilige eine ihnen verliehene Macht. Er kann nicht einsehen, weshalb sich diese Macht nicht auch auf die Stillung des Sturms beziehen sollte. Er muss also die Grenzen menschlicher Möglichkeiten gar nicht überschreiten, weil solche Möglichkeiten von Gott verliehen sein können.

 

Das Interessante ist nun, dass im Neuen Testament unser Herr seine Anhänger wegen ihres Mangels an Glauben tadelt. Wenn unser Herr in offensichtlicher Göttlichkeit gehandelt hätte, hätte er seine Jünger nicht wegen ihres geringen Glaubens tadeln können. War dagegen seine Tat ein Akt des Glaubens, dann kann man nur sagen: Ein solcher Glaube steht außerhalb des Bereichs menschlicher Möglichkeiten. Da nun aber das Ereignis stattfand, wirklich stattfand durch den Glauben "dieses Mannes", begannen sich die Jünger wirklich zu fragen, was für eine Art Mensch er wohl sei.

 

Bitte, beachten Sie den Unterschied zwischen der Haltung dieser Juden, die wussten: Es ist nur ein Gott, und der Einstellung der Götzenanbeter in Ikonium (Apg 14,11 ff) sowie auf der Insel Malta (Apg 28,6). In beiden Fällen war die Haltung der Götzendiener in Gegenwart eines Wunders die: Ein Gott ist auf die Erde heruntergekommen! Eine derartige einfache und bequeme Lösung war für die Juden ein Ding der Unmöglichkeit. Sie konnten sich lediglich wundern, was für eine Art Mensch er wohl war. Sie gingen von der völligen Geschöpflichkeit Jesu aus und fragten von da aus weiter.

 

Ein anderer Missionar würde zu dieser Geschichte vielleicht sagen: "Sie sehen hier, wie Christus den Leuten in dieser schwierigen und gefährlichen Situation half. Das ist nur ein Ereignis solcher Art unter vielen anderen. Und das ist es, weshalb die christliche Kirche Missionare aussendet, um allen nach besten Kräften zu helfen. Die Kirche wandelt in den Fußstapfen des Meisters. Und Jesus zeigt uns Gottes Einstellung uns gegenüber in all den guten Taten, die er ausführte." Aber nach dem Bericht des Evangeliums hielten die Jünger nicht inne, um sich darüber zu wundern, was für eine hilfreiche Tat unser Herr vollbrachte. Sie waren erstaunt über seine Macht und Autorität. Die humanistische Sicht der Taten unseres Herrn, die von der Kirche heute betont wird, ist eine Vereinfachung der dialektischen Doppelnatur unseres Herrn. Sie versucht allzu oft mit Erfolg, Jesus in seiner Geschöpflichkeit auszulegen.

 

Jeder Aspekt echten Christentums weist diese unmögliche Doppelheit im Wesen auf, und sie alle gehen aus der Ur-Unmöglichkeit hervor, der Duplizität im Wesen unseres Herrn. Die Kirche gibt auf die Frage, was Gott tut, die Antwort: Gott nimmt Gestalt an. Sollte diese Antwort falsch sein, dann haben wir keine Kenntnis von Offenbarung, keine Kenntnis von Versöhnung und Errettung der Menschheit. Dann wären wir "die elendsten von allen Menschen".

 

Während die Kirche bei ihren Doktrinen abhängig ist von ihrem Verständnis der Doppelnatur Christi und des ganzen Christentums, ist ihr Glaube von völligem Verstehen nicht abhängig. Hier ist ein Punkt, den die meisten Muslime und zahlreiche Christen missverstehen. In der Philosophie enthalten und entfalten die Darlegungen den Gedanken. In der Verkündigung der Kirche weisen sie auf etwas hin, bezeugen eine Wirklichkeit - die Darlegungen mögen klar oder weniger klar sein, richtig oder falsch - aber daran hängt nicht die Wirklichkeit, die bezeugt wird. Unser Glaube bezieht sich auf diese Tatsachen-Wirklichkeit, nicht auf das Verständnis der Tatsache. Allerdings entsteht Gefahr, wenn dies Verständnis die Tatsache falsch erfasst. Deshalb erforscht die Kirche unablässig, ob sie die Christus-Wirklichkeit richtig erfasst und dargelegt hat. Und bei dieser Überprüfung darf man die Mühe gründlicher und genauer geistiger Arbeit nicht scheuen.