Verkündigung bei Mohammed und die christliche Predigt

Die Welt ist voll von Verkündigung. Sie predigen: der Muslim, der Kommunist, der Politiker, der Atheist und der Moralist, alle möglichen Leute predigen. Und doch - im letzten Grund glaubt kaum ein Mensch wirklich an das Predigen. Wenn Taten lauter als Worte sprechen, dann hoffe ich, ehe diese Vorlesung beendet ist, zu zeigen, dass meine Aussage wahr ist. Was ist denn Predigen eigentlich? Predigen ist der Eindruck, den eine Persönlichkeit auf andere macht durch das Mittel der Redekunst, womit der Prediger versucht, andere zu beeinflussen, dass sie etwas glauben oder in einer bestimmten Weise handeln oder beides. Da ist ein Mensch. Er hat eine Idee und ist davon überzeugt, dass sie richtig ist. Er kann sogar glauben, dass sie ihm als Wahrheit offenbart ist. Die Wahrheit nötigt ihn, die Idee anderen mitzuteilen, damit sie auch diese Wahrheit annehmen und danach handeln und sich mit ihm zusammenfinden. Wie wird er es anstellen, diese Wahrheit anderen mitzuteilen, damit er Erfolg hat und Hörer gewinnt? Das ist die Frage, auf welche jede Religion, jede Philosophie und jede Ideologie eine Antwort finden muss.

 

Die erste Antwort ist, dass der Einfluss einer Persönlichkeit, der etwas im Herzen und auf den Nägeln brennt, sich unweigerlich anderen mitteilt, indem sie davon redet. Heißt es nicht: Wenn ein Prediger von seiner Sache nicht so überzeugt ist, dass sie ihm im Herzen und auf den Nägeln brennt, kann er nicht hoffen, andere zu gewinnen? Der Erfolg hängt davon ab, dass immer wieder Menschen diese Glut erzeugen und vermitteln. Aber das ist schwer durchzuhalten. Auch wenn jemand tausend Anhänger gewinnen kann, dann ergibt sich daraus noch nicht, dass darunter Anhänger sind, welche die Sache weitertragen können.

 

Der erste Schritt zur Degeneration ist der Gebrauch von Gewalt. Das Schwert ist das sicherste und schnellste Mittel, aber keineswegs das einzige. Boykott, soziale Isolierung, politischer Druck und Furcht, auch das sind Waffen der Gewalt. Es ist erstaunlich zu sehen, wie in der Geschichte immer wieder eine Idee, die durch ihre Verkündigung groß geworden ist und ihre Kraft allein durch mündliche Überzeugung bekommen hat, rasch dazu übergeht, Gewalt in der einen oder anderen Weise anzuwenden.

 

Wo der Humanismus sich durchgesetzt hat, wird die Anwendung von Gewalt nicht gutgeheißen. Dort gilt Dienst mehr als Gewalt. Nackte Gewalt kann die Leute dazu bringen, dass sie sich ducken; sie kann sie nicht dazu gewinnen, dass sie einer Sache ihre Herzen zuwenden. Selbstloser Dienst, wie man es so wunderbar nennt, wird auf der anderen Seite den Menschen, der den Leuten so selbstlos dient, beliebt machen und ihre Augen öffnen für die Wahrheit der Idee, die ihn zum Dienst nötigt. So hat also Dienst einen Vorteil vor der Predigt und vor der Gewalt; außerdem verlangt er viel weniger von dem Menschen, der da dient. Es ist viel leichter, Dienstleistungen zu verrichten und gleichzeitig populär zu sein, als es ist, für etwas zu brennen oder unter der Gewalt anderer zu leiden. Denn wenn Gewalt angewendet wird, leiden alle, sowohl die Menschen, die gezwungen werden, als auch die, die sie zwingen.

 

Der Dienst degeneriert leider auch rasch, und wird zur Verlockung oder Bestechung. Dann wird Dienst als Lockmittel angeboten, für diese oder jene Partei zu stimmen, Nationen in einen Block blockfreier Staaten hineinzulocken, die kommunistische Idee zu übernehmen oder vielleicht auch sich einer anderen Religion anzuschließen. Auch die Kirche in Geschichte und Gegenwart kennt diese Methoden.

 

Nun wollen wir den Islam betrachten. Die Mullahs nennen ihren Propheten sehr oft Paighamber, einen, der paigham bringt, d.h. etwas Neues; Rasul, den Botschafter; Nabi, denjenigen, der vorhersagt. Hinter diesen drei Ausdrücken steht die Vorstellung wie in Hebr 1,1, dass an mancherlei Orten und in verschiedenen Zeiten der Vergangenheit Gott durch den Mund seiner Propheten gesprochen hat. Nun, für den Muslim ist dies alles zusammen nicht zusammengeschlossen in dem Sohn, sondern in dem letzten und endgültigen, universalen Propheten, nämlich in Mohammed. Mohammed verstand sich selber als Warner. Die 74. Sure des Korans gilt weithin als der Anfang der Offenbarungen; lediglich in Sure 96,1-5 steht etwas, was vielleicht sechs Monate vorher geschehen ist. Mohammed fängt hier an in folgender Weise: "Du in Deinen Kleidern, steh auf und warne und verherrliche den Herrn!" Die Warnung Mohammeds bezog sich normalerweise auf drei Dinge: den Tag des Gerichts, die Einheit Allahs und die Notwendigkeit der Buße. Der ganze Koran bezeugt die Tatsache, dass die vielen Propheten als Warner gesandt wurden; sie verkündigten eine Warnung. Fast ohne Ausnahme sind die Hinweise, die Mohammed auf historische oder legendäre Ereignisse gab, als Illustrationen gedacht, was passieren kann, wenn ein Volk die Warnung nicht hört, die ihm durch seinen Propheten gebracht wird. Eine Tradition von Jabir sagt von Mohammed, dass seine Augen meistens rot, seine Stimme hoch und seine Erregung so wild wurde, dass man empfand: Jetzt warnt er seinen Stamm vor dem Angriff einer feindlichen Armee und erschreckt ihn mit der Meldung von der Ankunft dieser Armee: Sie sind schon da! Am Abend oder Morgen werden sie kommen und alles plündern. Und der Prophet sagt dann: "Ich bin ja gesandt ... ", wenn er predigte.

 

Besser kann man die große Persönlichkeit, die in Weißglut brennt und anderen ihre Wahrheit durch Worte zu vermitteln sucht, kaum schildern.

 

Aber wie ging es weiter? In einer unglaublich kurzen Zeit wurde Mohammed stark genug, das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Ich denke jetzt nicht so sehr an die wenigen Schlachten, in denen er persönlich mitgefochten hat; sie haben hier keine Bedeutung. Ich denke jetzt zum Beispiel an seine Behandlung der Juden; an seine Eroberung von Mekka; an die Tatsache, dass ein erheblicher Teil der arabischen Stämme nicht durch seine Predigt gewonnen sind, sondern auf andere Weise. Und ich denke an den Tag, an dem er starb. Sein Nachfolger, Abu Bakr, musste sich auf das Schwert verlassen, um einen vollständigen Zerfall zu verhindern. Wenn diese Stämme durch Verkündigung überzeugt worden wären, dann hätte der Tod Mohammeds nicht als Signal für ihren Abfall gewirkt. Und später, als der große Kalif Omar, der überzeugteste Jünger Mohammeds, mit den arabischen Heeren zur Eroberung aufbrach, tat er das im Namen Allahs. Man kann manches über die Verkündigung des Islam schreiben, aber die Tatsache bleibt doch, dass Omar der Idee eines theokratischen Staates ergeben war, der die Welt dem Islam erobern muss, denn darin lag der Ruhm Allahs. Und dieser Gedanke lieg den Muslimen heute nicht fern. Vielleicht sind wir rasch darüber einig, dass entsprechend der internationalen Ethik jener Zeit die arabische Stämme zu einer Nation verschmolzen, andere Nationen unterwarfen und deren Regierung mit dem Recht des Eroberers antraten. Dadurch ändert sich die Tatsache aber nicht, dass das Ziel der Eroberer darin bestand, dem Islam den obersten Platz in der Welt zu verschaffen. Omar unterschied sehr sorgfältig zwischen Christen und Nichtchristen oder Heiden. Es gab einen Platz, den die Christen behalten durften im Raum des Islam, obwohl der Platz ziemlich eng und demütigend und Schwankungen der lokalen Autoritäten unterworfen war. Für Heiden aber gab es keinen Platz.

 

Wenn ein Land unterworfen war, dann kamen Schwärme von Lehrern, Predigern und Katechisten, um die Leute zu bekehren - wehe, wenn nicht!

 

Viele Muslime werden mit Eifer bestreiten, was ich eben gesagt habe, und den Beweis antreten wollen, dass der Islam sich friedlich ausgebreitet hat; dass der Islam eine demokratische Religion ist, die Aggressivität nicht billigt; dass das Schwert nur aus politischen Gründen gebraucht worden war, aber niemals, um jemand zu einer Religion zu nötigen. Das ist die Art von Propaganda, die aus englischen Druckereien in die englisch-sprechende Welt geleitet wird. Es wäre vollständig falsch zu behaupten, dass der Islam dieser Modernisten nicht Islam ist. Aber man hat vielleicht das Recht, darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit ihrer muslimischen Brüder, unter denen es sehr gebildete Theologen gibt, nicht mit ihnen einig ist, weder in der Interpretation des Korans noch im Verständnis der islamischen Geschichte. Mehr als einmal haben Muslime, mit denen ich geredet habe, behauptet, dass der Muslim nicht verpflichtet ist, seine Religion zu verbreiten, wenn der Staat nicht in der Lage ist, die Sache zu unterstützen. Auch in unseren Tagen ist es passiert, dass Pakistan, Ägypten und Saudi-Arabien beschlossen haben, ihre Kräfte zu verbinden, um ganz Afrika zum Islam zu bekehren. Pakistan sollte die Lehrer stellen, Saudi-Arabien das Geld und Ägypten sollte die politische Entwicklung überwachen.

 

In Wirklichkeit ist der einzige organisierte Versuch, den Islam zu predigen, von den Sufi-Bruderschaften gemacht worden und von einzelnen rationalistischen Sekten.

 

Wenn Sie den Kommunismus und modernen Buddhismus studieren, werden Sie rasch einsehen, wie gut sie sich in diese Bilder leider auch einfügen. Jede Bewegung der Welt hat dieselbe Schwierigkeit mit dem Predigen. Niemand glaubt, dass Predigt als Methode auf lange Sicht die beste, die wirksamste oder die einzig zulässige Methode ist. Warum? Wahrscheinlich einfach deswegen, weil man das Predigen als eine Sache versteht, die ihren Ursprung und ihr Ziel im Menschen hat - und das ist ja auch richtig außerhalb des Christentums. Tragisch wird es erst, wenn auch Christen sich darauf einlassen. Die Währung der Sprache verliert ihren Wert, wenn die Golddeckung verschwindet. Es gab eine Zeit, da jeder den Preis zahlen musste für das, was er sagte; dann wog er seine Worte. Heute haben wir die Freiheit der Rede, das Wort ist frei und so billig, dass viele meinen, es habe seine Kaufkraft und seine Kraft verloren. Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Zweifellos sieht auf der Ebene der Menschen alles Predigen gleich aus - Ihres und das des Kommunisten oder das des Muslims oder das des Buddhisten. Aber - Sie erinnern sich: Alles im Christentum hat eine doppelte Natur, und die ist paradox. Im Abschnitt über Christus als Sohn Gottes habe ich darauf hingewiesen. Dieses Paradox zeigt sich in einer ziemlich erstaunlichen Ausdrucksweise bei den Christen. Wir sprechen in der einen Minute davon, dass Christus das Wort Gottes ist; in der nächsten sagen wir, die Bibel sei das Wort Gottes; und oft genug nennen wir dann auch das Predigen das Wort Gottes. Obwohl das Wort Gottes ja nur eins ist; wir reden niemals von drei Worten oder vielen Wörtern Gottes. Die Theologen definieren dann das eine Wort Gottes als offenbart, geschrieben und verkündigt.

 

Offenbar soll das bedeuten, dass in der Kirche das göttliche Wort und das menschliche Wort irgendwie miteinander verbunden sind, so dass das göttliche Wort menschlich wird, ohne seine Göttlichkeit zu verlieren, und dass das menschliche Wort göttlich wird, ohne seine Menschlichkeit zu verlieren. Diese Doppelheit der Natur des menschlichen Wortes beim christlichen Predigen, ist das, was es von jeglicher anderen Predigt unterscheidet.

 

Der Koran heißt Gottes Wort. Für den Muslim ist der Koran das Wort Gottes, alles andere ist menschliche Sprache oder menschliche Schreibe. Natürlich ist es nicht ganz leicht zu verstehen, wie arabische Sprache mit dem Wort Gottes in eins gesetzt werden kann, ohne dass irgendeine Doppelheit entsteht. Aber Muslime behaupten auch bisweilen, dass die Sprache des Himmels arabisch sein muss, weil der Koran auf den aufbewahrten Tafeln im Himmel in Arabisch geschrieben ist. Sie behaupten, dass nicht eine einzige Silbe des Koran irgendwie menschlich ist. Diese Lösung hört sich leicht und einfach an. Aber in Wirklichkeit ergibt sie überhaupt keinen Sinn. Die muslimische Auffassung vom Predigen ist bestimmt von der Auffassung vom Koran. Predigen kann natürlich nichts anderes sein als eine menschliche Aktion, meist des Starken gegenüber dem Schwachen, eine rein natürliche Tätigkeit.

 

Wenn wir von der christlichen Predigt sprechen, dann verbinden wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, so dass Christus, der mit seinem gesprochenen Wort kam, jetzt im geschriebenen Wort kommt und im gesprochenen Wort wiederkommen wird. Christliche Predigt als ein Akt des Gehorsams bedeutet, dass wir das glauben, was einmal geschehen ist und geschehen wird. Der christliche Prediger, der weiß, worum es sich handelt, glaubt an die Möglichkeit, dass sich dies ereignet.

 

Wir müssen sagen: "die Möglichkeit", denn wir wissen nichts von einer inneren Notwendigkeit in Gott, weshalb dieses Ereignis immer die Predigt begleiten müsste. Gott in seiner Souveränität schafft durch das Wirken des Heiligen Geistes das Ereignis des Glaubens auf die Predigt hin, wann und wo es ihm gefällt.

 

Das geschieht nicht, weil der Prediger sich fürchterlich viel Mühe gibt oder weil der Stärkere den Schwächeren beeindruckt, auch nicht, weil eine magnetische Persönlichkeit etwas ausstrahlt und ihr etwas auf dem Herzen brennt. Die christliche Predigt ist ein Akt des Gehorsams. Sie schafft die Möglichkeit, dass das offenbarte Wort von neuem offenbart wird.

 

Wenn Sie auf diese Weise das Predigen aus der psychologischen Sphäre herausnehmen und es mitten in die Theologie hineinstellen, dann werden Sie die Notwendigkeit der Verkündigung entdecken. Kein Einfluss von Persönlichkeiten, kein Gebrauch von Gewalt, kein menschlicher Dienst, keine Verlockung kann die Möglichkeit schaffen, dass Offenbarung gegenwärtig wird; denn diese Möglichkeit entsteht nur, wenn das gesprochene Wort sich wirklich und korrekt bezieht auf das geschriebene Wort, welches das offenbarte Wort bezeugt. Die gegenwärtige Offenbarung ist Offenbarung nur, weil die vergangene Offenbarung hier erneut offenbart wird.

 

So verstehen wir, dass die Predigt nie durch eine andere Methode ersetzt werden kann, gleichgültig, wie billig Worte werden, gleichgültig, wie scheußlich sie entwertet und missbraucht sind. Also kann man sagen, dass trotz allem christliche Predigt der wesentliche Dienst der Kirche ist. Welchen größeren Dienst könnte die Kirche den Menschen tun, als dass sie die Möglichkeit für dieses Ereignis schafft, in dem Gott sich selbst den Menschen offenbart und zu ihnen spricht? Dieser theologische Aspekt der christlichen Verkündigung macht sie einmalig in einer Welt, die voll von Predigten ist. Leider ist er allzu oft vergessen worden von der Kirche, wenn Leute übereifrig in ihrem Versuch, große Dinge für Gott zu tun, vergessen haben, dass Gott Glaube und Gehorsam verlangt und nicht spektakuläre Versuche, heldenhaft zu wirken.