Mohammeds Sicht der Ethik
Das Thema ist nicht das ethische Verhalten Mohammeds, sondern seine Auffassung von Ethik. Sein eigenes Verhalten geht uns dabei im Grunde nichts an. Wir fragen, was Mohammed über Gut und Böse lehrte.
Jeder hat für die Ethik einen Maßstab, der jenseits eigener Verhaltensweisen liegt. Ein Europäer, der versucht, mit zwei Frauen zugleich zu leben, verdirbt seinen Charakter; er kann nicht anders, er fühlt, dass er etwas falsch macht. Ein Muslim mit zwei Frauen spricht darüber so offen und natürlich, wie er von seinen beiden Töchtern reden würde. Für ihn gilt die Mehrehe als ein durchaus ehrenhafter Zustand.
Worauf es uns ankommt, ist also die Auffassung, der Maßstab Mohammeds, nicht sein Verhalten. Mohammed verstand Allah als direkte Quelle und Grundlage für jedes Urteil über Recht und Unrecht. Wahrscheinlich haben die Mekkaner diesem Außenseiter das Leben schwer gemacht, z.B. durch Spott oder durch Dornen unter dem Gebetsteppich. Aber wirklich erregt wurden sie erst, als ihnen klar wurde, dass er die "Väter" nicht ehrte. Erst als die praktischen Folgen seiner Lösung von den Stammesreligionen deutlich wurden, begannen die Verfolgungen wirklich.
Er verlangte von den ersten Bekehrten einen Eid der Treue zu ihm, der die Loyalität zur Sippe durchbrach. Das war eine revolutionäre Idee in Arabien; und Mohammed hat sich auf keinen Kompromiss mit der Ethik der Gemeinschaft eingelassen.
Die Vorstellung, Allah sei Quelle und Grund aller Ethik, wurde ganz zentral im Islam. Alles, was vor 1300 Jahren als recht offenbart wurde, ist für den orthodoxen Muslim auch heute recht; alles, was damals als Unrecht offenbart wurde, ist auch heute Unrecht.
Der zweite wichtige Punkt ist: Die Kenntnis von Recht und Unrecht entstammt nicht dem Wesen Allahs, sondern seinem Willen. Mohammed verstand wohl, dass der Mensch von sich aus nichts vom Wesen Gottes wissen kann; aber sein Wille wurde kund gemacht. Die Ethik hängt also nicht am Wesen Allahs, sondern an seinem Willen. Allah hat auch die Gerechtigkeit geschaffen. Nichts ist von sich aus Recht, erst Allahs Wort macht es dazu.
Ein Beispiel: Zwei Länder haben verschiedene Verkehrsordnungen; das eine hat Rechtsverkehr, das andere Linksverkehr. Was im einen Land richtig ist, ist im anderen falsch. Wenn nun ein Land die Verkehrsordnung ändert, kann man heute für etwas verhaftet werden, was gestern noch richtig war. Rechts fahren oder links fahren ist in sich nicht gut oder schlecht; erst durch den Willen des Gesetzgebers wird es dazu. Im Islam hat sich eine Lehre von der Sündlosigkeit aller Propheten entwickelt. Nicht weil ein Prophet nicht so handeln kann wie jeder andere, sondern weil sie eine Auszeichnung empfangen haben - sie unterliegen nicht dem normalen Gesetz. Ein Verkehrszeichen sperrte eine Straße für allen Verkehr; darunter aber waren der Präsident, der Gouverneur und andere Ausnahmen angegeben. Niemand nahm Anstoß daran. So etwa hat der oberste Herrscher angeordnet, dass Propheten auf Grund ihres hohen Berufs nicht sündigen, wenn sie tun, was bei anderen Leuten Sünde wäre.
Jahrelang habe ich darüber gegrübelt, wieso Muslime vergnügt und seelenruhig zugeben können, dass sie "Gottes Sünder" sind. Sind sie besonders ehrlich oder besonders gleichgültig? Nein.
Die Grundbeziehung eines Bürgers zu seinem Stand ist sein Bürgerrecht, nicht die Erfüllung aller Gesetze. Er kann etliches auf dem Kerbholz haben und bleibt doch Amerikaner, Pakistani usw. So ähnlich ist es im Islam: Auch wer die Sharia übertritt, kann doch ein guter Muslim sein. Sünde ist im Islam dasselbe wie Vergehen.
Anders wäre es bei Hochverrat - dann steht die Staatsbürgerschaft auf dem Spiel. SO gelten im Islam die Sünde des Shirk - irgend etwas Gott beizugesellen - und die Ablehnung des Propheten als die Vergehen, durch die der Muslim sich ausschließt und die Hölle verdient. Moral als eine Auffassung, bei der dem Verhalten der Menschen ein Wert innewohnt, ist m.E. in Mohammeds Auffassung nicht enthalten. Der Wert des Verhaltens ergibt sich aus dem Willen Allahs.
Vielleicht leuchtet es jetzt ein, warum es nutzlos ist, über Mohammeds ethisches Verhalten zu sprechen. Wenn Sie Muslim wären, also von Herzen glaubten, dass Allah die Welt regiert wie ein König sein Reich; wenn Sie Mohammed als Offenbarungsträger Allahs annähmen und die Scharia als den Willen Gottes - dann könnten Sie einfach nicht in Zweifel ziehen, was Mohammed sagte oder tat. Es wirkt dann streitsüchtig, ja blasphemisch wenn Christen herabsetzend von Mohammeds Verhalten sprechen. Aber es bleibt die Aufgabe zu erklären, warum wir mit Mohammeds Auffassung der Ethik nicht einverstanden sind. Ohne Vorbehalt kann man sagen: Im Christentum gibt es keine Scharia. Man kann keine Sammlung ethischer Regeln aufstellen, die man "christlich" nennen könnte. Wie aber sollten wir das Thema der Ethik mit Muslimen behandeln?
Erstens: Die Vorstellung von "richtig und falsch" halten wir fest als wesentlichen Teil der menschlichen Natur. So wie Gott uns mit den Fähigkeiten zum Hören und Sehen schuf, so hat er uns die Fähigkeit zur Wahl zwischen Recht und Unrecht gegeben. Diese Fähigkeit kann man nicht irgendwoher ableiten; auch nach dem Sündenfall ist diese Eigenschaft da, wissen die Menschen, dass sie zu wählen haben. Die muslimische Ansicht, dass Recht und Unrecht ihre Quelle in Allah direkt haben, kann also nicht angenommen werden. Der Schöpfer hat die Menschen so geschaffen, dass sie diese Fähigkeit in sich haben.
Zweitens müssen wir festhalten, dass wir von einem "absoluten" Willen Gottes schlechthin nichts wissen. Wir kennen Gottes Willen nur, weil wir Gottes Wesen kennen. Mohammed, so sagte ich, hat Recht, wenn er den Menschen für unfähig hält, Gottes Wesen zu erkennen. Deswegen ist die Inkarnation für uns grundlegend wichtig.. Wenn wir in Jesus Christus etwas vom Wesen Gottes erfahren haben, dann wissen wir auch etwas vom Willen Gottes.
Diese Unterscheidung ist nicht überflüssig. Sonst würden Gottes Weisungen ihre moralische Qualität verlieren. Wurzelt das ethische Urteil im absoluten Willen Gottes, dann hat der Muslim Recht: Gott nennt dies Recht, jenes Unrecht. Wurzelt es im Wesen Gottes, dann geht es nicht darum, dass Handlungen benannt werden. Dann geht um darum, dass das Falsche in sich dem Rechten entgegengesetzt ist. Wenn geschrieben steht, dass Gott nicht den Tod des Sünders will, dass er die Welt liebt, dass er geduldig ist, dann sind das alles Aussagen über das Wesen Gottes. Aber diese Aussagen lassen sich nicht in einen ethischen Kodex verarbeiten. Wenn wir von der Kenntnis des Wesens Gottes ausgehen, so wird uns auch deutlich, dass Sünde etwas ganz anderes ist als ein Regelverstoß. Es ist viel ärger: die verdorbene Stellung des Menschen, in der sein Wesen nicht mehr auf Gottes Wesen ausgerichtet ist, sondern vor ihm flieht wie Adam im Paradies. Wenn Menschen lieblos sind, zeigt sich darin nur ihre Abwendung von dem Gott, der Liebe ist.
Auch wenn jemand sagt, er habe sich vollständig der eigenen Wahl begeben und allen Regeln der Scharia oder der Thora unterworfen - wie Mohammed und Paulus vor seiner Bekehrung - und sich deshalb auch vollständig sicher fühlt, so verliert er doch in der Begegnung mit Christus durch den Heiligen Geist alle Illusionen. Dann erscheint diese Ehrbarkeit vor Gott als ein Schutzschild zur Tarnung der Entfremdung von Gott. Paulus machte diese Entdeckung und warf seine eigene Gerechtigkeit daraufhin zum Abfall. Bei Mohammed kam es nicht dazu. Übrigens ähneln die beiden einander, und ein Vergleich ist recht lehrreich.
Nun bleibt eine Frage. Hat denn die Ethik gar nichts mit dem Christentum zu tun? So fragt man mich oft. Natürlich hat sie. Das Dreieck der Beziehungen zwischen Gott, dem Nächsten und Ihnen bleibt ja bestehen. Die Frage ist: Wie herum läuft die Beziehung?
Wenn Sie vom Nächsten ausgehen und von dorther zu Gott kommen wollen, sind Sie ein Legalist, ob man das nun muslimisch oder christlich zu verstehen sucht. Dabei wird der Nächste ein Hilfsmittel, das ich benutze, um durch mein Wohlverhalten zu Gott zu kommen. Aber wenn Gott mich bekehrt, dann verändert sich die Richtung: Sie beginnt bei Gott und kommt zu mir und geht dann zu meinem Nächsten. Dann wird eine Revision aller vorigen Haltungen nötig. Gottes Bewegung zu uns entspringt seinem Wesen, und dort, wo Gott in Christus die Welt mit sich versöhnte, beginnt dann auch unser ethisches Verhalten. Dann entdeckt man, dass unser Nächster auch von Gott geliebt und gemeint ist. Diese Entdeckung wird der göttliche Faktor in Ihrer Beziehung zum Nächsten. Nun haben wir also einen Menschen, der weiß, dass es gut und böse, richtig und falsch gibt. Er weiß, dass Gott die Menschen - ihn selbst und seinen Nächsten - liebt. Was für einen Weg wird er einschlagen? Er wird seinen Nächsten lieben.
Aber ein Militarist und ein Pazifist können dabei zu sehr verschiedenen praktischen Schlüssen kommen. "Ich muss meinen Nächsten - mein Volk, meine Familie - vor Feinden schützen". "Aber der andere Staat - das sind auch Nächste. Du sollst nicht töten, heißt es im Dekalog".
Diese Diskussion ist unecht. Aber sie ist ein Beispiel, was möglich ist und immer wieder geschieht. Das Christentum stellt den Menschen auf seine eigenen Füße, und er hat nichts, wohinter er sich verstecken kann. Es macht den Menschen nicht nur frei, sondern auch verantwortlich - eine gefährliche Sache.
Diese Freiheit gibt das Christentum, indem es uns an Christus bindet. Augustin sagt. "Liebe Gott, und dann tu, was Du willst" - wer sich auf Gebote, auf die Traditionen seiner Kirche oder die Gebetserhörung durch den Heiligen Geist beruft, ist sowohl anmaßend wie feige. Man maßt sich an, seine Lösung als die richtige auszugeben, und ist zu feige, die Verantwortung dafür selbst zu übernehmen.
Lies die Bibel; such Hilfe und Wegweisung im Gebet; das ist wesentlich. Aber man soll weder die gottgeschenkte Freiheit aufgeben noch sich Unfehlbarkeit anmaßen. Wir können nur in der Bindung an Christus unter seinem Kreuz leben.